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Der Riambakultus – Aus einem Vortrag von Franz von Winckel (1890)

Der Riambakultus – Aus einem Vortrag von Franz von Winckel (1890)

Der Riambakultus

Aus einem Vortrag von Franz von Winckel (1890)

Der in Berleburg/Westfalen geborene Geheime Medizinal-Rat Professor Franz Karl Ludwig Wilhelm von Winckel (1837 – 1911) war ein bedeutender Gynäkologe und Direktor der Königlichen Universitäts-Frauenklinik in München. Er war ein Freund des öffentlichen Vortragswesens. Im Volksbildungsverein München hielt er am 19. Februar 1890 einen langen Vortrag mit dem Titel „Über die Bedeutung des indischen Hanfs im Menschen- und Völkerleben.“ In diesem vereint er ein interessantes Potpourri des damaligen, von Mythen, negativen Vorurteilen und Halbwissen geprägten Kenntnisstandes zu Geschichte und medizinischer Erforschung des indischen Hanfs und seiner teilweise in sich widersprüchlichen Ansichten dazu. Von besonderem Reiz ist der hier zugegeben willkürlich extrahierte (natürlich ethnozentristische) Kernteil, in dem er vom Riambakultus berichtet.

„Die genaue Schilderung dieses Hanf- oder Riambakultus verdanken wir erst Pogge, Wissmann, Wolf und Francois. Die Geschichte dieser neuen Religion ist noch jungen Datums und bietet mancherlei interessante Seiten. Dieselbe wird von Wissmann und Pogge etwas verschieden dargestellt.

Die Völker, bei welchen der genannte Kultus in höchster Blüte steht, sind die Baluba, ein Mischvolk, eine Völkerfamilie, die östlich bis an den Tanganjika-See, westlich bis an den Kassai, nördlich bis an die Bakete, beziehentlich Bakuba, und südlich bis an das Lundareich stossen. Der Hauptherrscher in diesem Volke ist der mit Wissmann und Pogge sehr befreundete Häuptling Kalamba in Mukenge, nahe dem Lulua, dessen sehr intelligente Schwester Meta mit dem Beinamen Sangula eine Art geistlicher Nebenregierung führt. Zu diesen Baluba wurde etwa 1874 durch einen östlich von ihnen wohnenden Häuptling Muamba Putu, welchen der vor kurzem in Afrika verstorbene Stabsarzt Wolf noch persönlich kennen lernte, das Hanfrauchen eingeführt.

Und während bis dahin die Baluba in immerwährenden Fehden lagen und entschiedene Anthropophagen waren und einzelne, nicht weit von ihnen wohnende Völker noch jetzt diesem Genusse huldigen, gelang es Kalamba mit Hilfe des Riambakultus sich ein grösseres, einheitliches Reich zu schaffen und eine friedliche Ära zu eröffnen, durch welche sein Land als Land der Freundschaft, Lubuku genannt, den Fremden geöffnet wurde, und aus den unbezähmbaren, aber allerdings durch eine verhältnismäßig hohe Intelligenz von jeher von ihren Nachbarvölkern ausgezeichnet Wilden ruhige, weit mehr gesittete und einer höheren Kultur immer mehr zugängige Menschen gemacht wurden. Natürlich ging diese Umwandlung nicht ohne Kampf ab.

Anfangs schienen Kalamba und Meta selbst keine überzeugungstreuen Anhänger des Riambakultus gewesen zu sein, denn im Jahre 1876 brach ein heftiger Aufstand gegen sie aus, indem man sie beschuldigte, den Tod eines Mannes durch Fetischzauber herbeigeführt zu haben. Man zwang sie infolgedessen Riamba zu rauchen und als Kalamba und Meta dadurch betäubt zu Boden stürzten, fiel man mit Messern über sie her. Kalambas Bruder wurde getötet; er selbst durch Bangalaleute gerettet; Meta aber, für tot auf dem Platze gelassen, rettete sich, aus der Ohnmacht erwacht, zu einem befreundeten Häuptling und erhielt infolgedessen später den Zunamen Sangula, d. h. wieder zum Leben Erstandene (Pogge). Aus der Saula war nun eine Paula geworden und seit jener Zeit ist sie die fanatische Hohepriesterin des Riambakultus, dem sie im Verein mit ihrem Bruder ringsumher immer mehr Anhänger und Verbreitung verschaffte. Die alten Fetische und Zaubermittel wurden auf Kalambas Befehl zerstört und öffentlich verbrannt und an ihre Stelle trat als Universal-Zauber- und Schutzmittel gegen alle Unbilden und als geheiligtes Symbol des Friedens und der Freundschaft der Hanf, Riamba. Das Hanfrauchen wurde allen zur Pflicht gemacht und alle Feste wurden mit Riambarauchen gefeiert.

Der Schmuck der Priesterin ist der grüne Hanfzweig, mit dem sie nicht bloss die aufgeregten Leidenschaften der Menschen beschwichtigt, den sie auch gegen die aufgeregten Elemente, wie die stürmische See, schwingt. Will jemand in die Gemeinschaft der Riambagläubigen aufgenommen werden, so muss der Neubekehrte eine öffentliche Beichte über alle seine Vergehen ablegen, alsdann wird ihm von Meta als Strafe dafür wässeriger Pfefferextrakt in jeden Augenwinkel geträufelt, infolgedessen er oft wochenlang an heftigem Bindehautkatarrh leidet und gewiss hinreichend Gelegenheit hat, rechte Einkehr in sich zu halten. Nun werden ihm auch noch die Haare geschoren, denn alle Riambabrüder sollen geschoren sein. Als Symbol des Riambakultus ist die vor dem Dorfe auf hoher Stange aufgesteckte Kalabasse zu betrachten, da das Riambarauchen aus Flaschen-Kürbissen stattfindet. Das letztere geschieht alltäglich auf grossen Plätzen vor der Wohnung des Häuptlings, welche Kalamba dadurch schaffen liess, dass er nicht bloss alle Palmen, sondern auch die Bananen und Ananas zerstören liess.

Der Genuss des Palmenweins und des Opiums wurde streng verboten und nur der des Hirsebieres gestattet…Sollen von der Gottheit frohe Ereignisse erbeten werden, will man sich zu einer gemeinsamen grösseren Tat stärken, will man lieben Verstorbenen eine Weihe darbringen, so wird Riambarauchen angestellt; es ist das Gebet, die Messe, die Prozession und die Beruhigung aller Skrupel, Sorgen und Ängste. Als Kalamba beispielsweise im Anfang seiner Reise mit Wissmann nachts einmal durch einen bösen Traum, dass man ihn in der Stadt der Weissen gefangen nehmen werde, erschreckt war, beruhigte er sich nicht eher, als bis Wissmann mit ihm Hanf geraucht hatte. Aber auch der Muschilange, welcher seine Frau und seine Kinder verkaufen will, pflegt die moralischen Bedenken, die ihm keineswegs fremd sind, durch starkes Riambarauchen zu ersticken.

Ist Jemand eines Vergehens beschuldigt, sei es Diebstahl, Mord usw., so wird er zum Riambarauchen verurteilt, weil man bei diesem Gottesgericht erwartet, dass er die Wahrheit sagen oder bewusstlos zusammenstürzen oder, wenn er unschuldig sei, durch Erbrechen von dem Gift befreit werde. Der fragliche Übeltäter raucht dann allein aus einer Pfeife, in welche, wie bei der Besiegung des Häuptlings Katende durch Kalamba ausdrücklich einmal hervorgehoben wird, eine starke Riambamischung (!) eingelegt wird, während der hohe Gerichtshof zu je 4 Personen aus einer Pfeife zusammenraucht. Hier ist also beobachtet worden, dass in gewissen Fällen der Hanf nicht allein, sondern mit anderen Pflanzen, wahrscheinlich sehr giftigen, wie Bilsenkraut, Stechapfel usw. vermischt wird, aber nur um einen Schuldigen zu entlarven und zu strafen…

Sehr auffallend ist ferner, dass Kalamba mit der Einführung des Riambakultus auch alle Haushaltungstiere, mit Ausnahme der Tauben und Hühner, also die Hunde, Ziegen und Schweine töten liess. Er hatte die bestimmte Absicht, wie er das in der veränderten Einrichtung des Kischila erklärte, sein Volk weniger blutdürstig zu machen und es an eine einfachere Lebensweise zu gewöhnen.

Aber auch ein religiöser Grund bestimmte ihn, denn mit dem Riambakultus entwickelte sich bei den Baluba auch der Glaube an die Seelenwanderung; man dachte, dass die Seelen Verstorbener in Tiere ebensogut wie in Menschen einwandern könnten…Übrigens muss man hinzusetzen, dass durch dieses Abschaffen der grösseren Haustiere die Baluba doch nicht zu reinen Vegetarianern gemacht wurden, da sie auf den Reisen mit Wissmann, Pogge, Francois und Müller immer sehr gern an der Verteilung ihrer Fleischjagdbeute teilnahmen und diese frohe Aussicht gewöhnlich schon abends vorher durch einen Riambatanz feierten.

…Wenn ein Fremder zum Besuch kommt, so wird er mit Hanfwedeln begrüsst und befächelt, auf seinen Weg werden Hanfblätter gestreut und mit Pemba (Ton) sein Gewand bestrichen. Darauf trinkt der Muschilange Kischila, d. h. Blutsfreundschaft, mit ihm. Diese Prozedur wurde in sehr sinnreicher Weise von Kalamba verändert und wie folgt erklärt: „Das Feuer“, sagt er, „ist die höchste Macht der Erde und Riamba das einzige Mittel für Gesundheit und Leben. Wenn wir Kischila nun vom Feuer mit Riamba trinken, so ist dies unverbrüchlich. Wer es dann wagen wird, sein Wort zu brechen, der wird vom Feuer vertilgt werden, dem wird kein Feuer mehr leuchten, kein Riamba mehr helfen. Ohne Feuer kann aber niemand das Eisen bereiten, ohne Eisen kann niemand seine Felder bebauen oder ein Haus errichten, ohne Riamba kann kein Mensch auf Erden leben, somit muss sich jeder hüten, das Feuer und Riamba durch seinen Wortbruch zu erzürnen.“ Darauf werden dann von der Priesterin (Sangula) einige Hanfkörner in den kochenden Kognak gestreut und jeder Reisende und die anwesenden Häuptlinge trinken davon, womit das Freundschaftsbündnis geschlossen ist.

Brechen Streitigkeiten zwischen Riambabrüdern aus, so wird mit einem Büschel getrockneten Hanfes, wie mit einem Zauberstabe versucht, die Streitenden zu trennen; wenn das aber nicht gelingt, so schlägt die Hohepriesterin Meta Sangula mit einem kräftigen Stocke ohne Ansehen der Person dazwischen. Überhaupt erschien dieser Priesterin das Gefühl der Furcht fremd und sie trat oft mit einem Büschel grünen Hanfs in der Hand unbewaffnet ihren Feinden entgegen, um eine drohende Anrede zu halten. Schien diese keinen Eindruck zu machen, so suchte sie durch heftige Gesten oder auf andere minder schickliche Weise dem Gegner ihre Verachtung zu beweisen und ihre Krieger zum Kampfe anzufeuern. Wie sie denn auch, als im Anfang ihr Bruder Kalamba noch Bedenken hatte, Wissmann auf seiner grossen Reise zu begleiten, erklärte, wenn die Männer keine Courage hätten, so würden die Frauen allein mit jenem ziehen und dem Fremden ihr Wort halten…

Höchst amüsant ist nun ein Kriegerauszug: Jeder Muschilange erscheint im gewöhnlichen Hüfttuche, aber mit der unvermeidlichen Riambapfeife, die an Schultern und Rücken hängt oder wie ein Kind im Arm getragen wird, so dass die Menge mehr einem starken Orchester von Dudelsackpfeifern und Tubabläsern, als dem beutelüsternen Tross mutiger Krieger gleicht.

Die Pfeifen, aus denen geraucht wird, sind ausgehöhlte Kürbisse, in denen seitwärts ein tönerner Zylinder als Pfeifenkopf und am oberen Ende ein Mundstück ausgeschnitten ist. Dieselben sind oft bis zu einem Meter gross, so dass z.B., als auf Wissmanns Reise einmal ein Boot umschlug, eine ins Wasser gestürzte Frau sich solange an einer solchen schwimmenden Riambapfeife halten konnte, bis sie gerettet wurde…

Sehr bemerkenswert ist es nun, dass zu dem Hanfrauchen der Baluba immer der Riambatanz gehört; er wird bei allen Festen, ebenso wie bei Kriegszügen, ja fast täglich, um den religiösen Eifer zu zeigen, bis zur Erschöpfung getanzt. Er macht den Eindruck, als ob alle bösen Geister der Unterwelt sich gesellig zu demselben vereinigt hätten; während des Tanzes wird fortwährend Riamba geraucht und Männer, Weiber und Kinder nehmen an diesen Tänzen teil. Begleitet wird derselbe von Trommeln und einer Musik, die von den Anwesenden teils gesungen, teils durch Pfeifen, Klappern, Rasseln und Blasen auf dem Elfenbeinhorn zu einem unbeschreiblichen Getöse wird. Sobald die Wirkung des Hanfs bei einigen akut wird, springen sie auf, tanzen mit zurückgeworfenem Kopfe, stieren Blickes, die wiegenden drehenden Bewegungen der Hüften mit Schwingen der ausgestreckten Arme und ausgespreizten Fingern begleitend oder sie stampfen im Takte mit den Füssen, wild ins Weite stierend und jene eintönige, bald lallende, bald aufjubelnde Melodie singend. Diese Tänze werden auf dem grossen Platz um ein mächtiges Holzfeuer oft die ganze Nacht hindurch bis früh 5 Uhr getanzt; sie werden vor dem Beginn grosser Unternehmungen ausgeführt und am frühen Morgen ist die tanzende Menge nicht selten noch so aufgeregt, dass z.B. zum Überfluss die Gewehre abgefeuert und unnötig Munition verschwendet wird…

Wenn nun ein so sorgsamer und langjähriger Beobachter jener Völkerschaften wie Wissmann, den ja ihre Häuptlinge lange Zeit nach Osten und Westen begleiteten, nichts von einem geistigen Verfall derselben hervorgehoben hat, nachdem jene doch schon über ein Jahrzehnt dem Riambakultus huldigten, wenn trotz allen Rauchens und Tanzens die Ausdauer der Baschilange auf jenen Reisen oft eine erstaunliche war und Kalamba sowohl als Meta Sangula als höchst intelligente Personen geschildert werden, deren persönlicher Mut und Ausdauer beim Überwinden von Schwierigkeiten manchmal rühmend anerkannt wird, wenn endlich Wissmann die schädliche Einwirkung des Hanfrauchens wohl für übertrieben ansieht, so wird man mit der Erklärung dieser bedeutenden Unterschiede durch die Verschiedenheit des afrikanischen vom indischen Hanfe allein sicher nicht mehr ausreichen…Da man nun so oft schon den Europäern, und keineswegs mit Unrecht, vorgeworfen hat, dass sie durch Einführung des schlechtesten Branntweins jene Völkerschaften zu korrumpieren und zu Grunde zu richten versucht haben, so hätte an dieser Stelle die deutsche Regierung, um nicht ähnlichen Vorwürfen dereinst ausgesetzt zu werden, eine Verpflichtung, sich ernstlich die Frage vorzulegen, ob sie den Wissmannschen Auffassungen folgend, den Riambakultus möglichst unterstützen und erhalten oder aber ihm entgegentreten solle.“

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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