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Mythos 14: „Die Cannabispolitik der Niederlande ist gescheitert“

Marihuana Mythen

Marihuana Mythen

Teil XIV

Gut gelaunt durchstreifen wir das Tal der Erkenntnis, denn der Blick ist frei. Nur ab und zu ranken sogenannte Mythen (ein gar „widerporstiches“ Gewächs) auf unseren Weg. Wir zerschneiden sie mit einem Messer, welches da „Wissenschaft“ heißt und heben sie auf, um sie in unserem Sammelband mit dem Titel „Struktur und Funktion von Marihuana-Mythen im 20. Jahrhundert“ abzulegen. Am Ende des Tals wartet die erfrischende Quelle des Wissens, an der wir uns gütlich laben werden, um dann den Weg zurück anzutreten. Hin und her, hin und her: Ja, Sisyphos muß man sich als glücklichen Menschen vorstellen.

Wie sieht es aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Eine Serie im HanfBlatt räumt auf – dieses mal mit der Behauptung:

„Die Cannabispolitik der Niederlande ist gescheitert“

Ein oft gehörtes Argument, wenn es darum geht, das voraussehbare Scheitern einer neuen Drogenpolitik in Deutschland zu untermauern. Das kleine Land an der Nordsee steht bei konservativen Politikern als Symbol für den Sündenpfuhl Europas. Hier herrsche Anarchie, auf offener Straße würde gekifft, immer mehr junge Leute probieren Cannabis und andere Drogen und damit stiege auch Zahl der Drogentoten stetig. Dieses Kernargument der Hanf-Prohibitionisten bedarf einer äußerst sorgsamen Überprüfung – halten wir uns also an

DIE FAKTEN

Einige politische und soziale Hintergründe müssen zunächst geklärt werden:

Seit dem Sommer 1994 regiert in Holland eine Koalition aus nicht-konfessionellen Parteien. Die für die Cannabis-Frage zuständigen Minister (Justiz- und Gesundheitsministerium) können als links-liberal eingestuft werden, sie stehen allzu weitreichenden Eingriffen des Staates in die Gesellschaft skeptisch gegenüber. Zudem wurde in den letzten Jahren die Inkonsistenz der Coffee-Shop Politik immer deutlicher (Front-Backdoor-Problem): Während im Gastraum legal Haschisch und Marihuana vertrieben werden darf, bleibt die Beschaffung der größeren Mengen für den Besitzer illegal. Im Modell war also ein Problem immanent angelegt, denn Kontakte zur kriminellen Organisationen konnten nicht ausbleiben. Das Parlement beschloß aus diesem Grund, den Coffee-Shops einen leichteren Zugang zu den Drogen zu ermöglichen. Zugleich kam es aber zu einschränkenden Maßnahmen, weil es in den letzten Jahren vermehrt zu Beschwerden von Teilen der Bevölkerung gekommen war. Die Zahl der Kiffer-Läden war stetig gestiegen, 1996 existierten 2000 Stück im Ländle. Oft wurde diese von Nicht-Holländern geführt, die hervorragende Kontakte in ihre Heimatländern pflegten. Großorganisationen übernahmen den Handel, Holländische Hanf-Produkte wurden im Preis unterboten, kriminelle Kräfte hielten Einzug. Kritisiert wurde auch die Existenz der Shops in der Nähe von Schulen und Jugendeinrichtungen. Aus diesem Grund beschloß die Regierung, in Zukunft ein wachsameres Auge auf die Shops zu werfen und die Neueröffnung stärker zu Reglementieren. Heute dürfen im Einzelverkauf nicht mehr als fünf Gramm über die Theke gehen, weiterhin ist man aber berechtigt, bis zu 30 Gramm Pot bei sich zu tragen.

Bei der Hälfte des konsumierten Cannabis handelt es sich um Haschischsorten aus Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika, die weitaus geringere Menge kommt aus Südamerika (hier insbesondere Kolumbien). Marokko ist mit knapp 75% der größte Lieferant. Es gibt Hinweise darauf, daß ein erheblicher Teil des importierten Haschischs wieder exportiert wird. Die Betriebsführung dieser häufig von Niederländern geleiteten Exportorganisationen ist sehr professionell und auf Kontinuität ausgerichtet. Im Jahre 1994 wurden über 43 Tonnen Haschisch und fast 195 Tonnen Marihuana beschlagnahmt. Die Zahl der gefundenen und vernichteten

„Nederwiet-Pflanzen“, also des niederländischen Hanfs, stieg auf 558.000. Der Marktanteil des Nederwiets an in den Niederlanden konsumierten weichen Drogen, soll inzwischen 50% betragen. Die in den Niederlanden seit jeher vorhandene Kenntnis von Gartenbau- und Veredelungstechniken hat zur Erreichung dieses Marktanteils beigetragen. Nederwiet gilt als Qualitätsprodukt und ist daher vor allem bei Jugendlichen beliebt. Soweit die aktuelle Lage.

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Wie ist es nun um die Cannabiskonsumenten bestellt? Hat die de-facto Entkriminalisierung zu einem Anstieg der kiffenden Menschen geführt? Und führte dies zum Umstieg auf andere, härtere Drogen? Die holländische Regierung stellte 1989 und 1996 den Erfolg einer seit 1976 grundlegend veränderten Drogenpolitik dar. Ihren Ergebnissen nach ist seit einigen Jahren der Konsum von Cannabis unter den Jugendlichen konstant. Die Zahl der Personen in den Niederlanden, die regelmäßig Cannabis nehmen, schätzt das NIAD (Nederlands Instituut voor Alkohol en Drugs) auf 675.000. In den ersten Jahren nach der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes stabilisierte sich das Konsumniveau, nahm aber im Zeitraum 1984-1994 wieder etwas zu. Sowohl trendmäßig als auch der Höhe nach weicht der Konsum in den Niederlanden nicht stark von dem in anderen Ländern ab. Um dem Mythos etwas näher zu kommen, vergleichen wir doch einmal das Genußverhalten von Holländern, US-Amerikanern und Franzosen.

Cannabiskonsum unter 12-18jährigen Holländern

Jemals probiert

Letzten Monat genossen

1984

4.8%

2.3%

1988

8.0%

3.1%

1993

13.6%

6.5%

(Quelle: NIAD)


Cannabiskonsum unter 12-17jährigen US-Amerikanern

 

Jemals probiert

Letzten Monat genossen

1985

23.2%

11.2%

1988

24.7%

6.4%

1993

11.7%

4.9%

(Quelle: NIDA)

 

Cannabiskonsum unter Franzosen (1992)

Alter

Jemals probiert

12-17 Jahre

4%

18-24 Jahre

32%

25-34 Jahre

31%

35-101 Jahre

14%

(Quelle: Comité Francedilais d`Education pour la Santé, 719 befragte Personen)

Die Tabellen zeigen, daß in Ländern mit strenger Aufsicht durchaus Cannabis unter den Jugendlichen grassiert. In den USA wird trotz einer restriktiven Cannabisprohibition gekifft was das Zeug hält. Der Konsum wird offenbar in erster Linie durch Moden innerhalb der internationalen Jugendkultur und durch andere Entwicklungen, wie der Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit unter Jugendlichen, beeinflußt. Von der staatlichen Drogenpolitik und der damit zusammenhängenden Verfügbarkeit von Drogen geht nur ein beschränkter Einfluß aus. Wie der Bundesdrogenbeauftragte Eduard („Ede“) Lintner trotz der Fakten und Zahlen auf die Idee kommt zu behaupten, daß niederländische Coffee-Shop Modell sei insgesamt gescheitert, weiß wohl nur er. Die holländische Regierung jedenfalls geht weiterhin davon aus, daß sie einen wertvollen Beitrag zur Trennung der Märkte zwischen harten und weichen Drogen leisten konnte. Und unter Vertretern einer progressiven Drogenpolitik wird das holländische Konzept seit Jahren als durchaus auf Deutschland anwendbar gesehen.

Ein holländischer Experte in Cannabisfragen, Mario Lap, möchte einen Schritt weiter gehen: Er schlägt ein staatliches Lizenzsystem für Cannabisprodukte vor. Die Vorteile: Der Markt würde vollständig aus dem kriminellen Millieu herausgelöst werden und es würde ein legaler Erwerbsbereich mit neuen Arbeitsplätzen entstehen. Zudem würden, so Lap, Polizei und Justiz entlastet, es könnten Qualitätskontrollen eingeführt und eine zielgerichtete Prävention entwickelt werden.

 

Jörg Auf dem Hövel

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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