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Interview mit dem Pharmazeuten Manfred Fankhauser

Interview mit dem Pharmazeuten Manfred Fankhauser /

hanfblatt, März 2004

Haschisch als Medikament

Ein Interview mit dem Pharmazeuten Manfred Fankhauser

Manfred Fankhauser, Jahrgang 63 und seit 1991 Apotheker in Langnau im schönen Schweizer Emmental, hat die bis dato beste Arbeit über die Geschichte von „Haschisch als Medikament“ in der westlichen Medizin geschrieben. Diese 1996 an der Universität Bern abgegebene Dissertation kann man jedem an der Pharmaziehistorie von Cannabis Interessierten nur wärmstens empfehlen. Beeindruckend allein die natürlich für weitere Forschungen offenen Listen der verwendeten Literatur und Pharmakopöen, sowie der einst im Handel befindlichen Cannabiszubereitungen und -präparate. Fankhauser ist obendrein in der international tätigen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) aktiv. Das Thema lässt ihn also nicht los. Gründe genug, ihm einmal ein paar Fragen zu stellen.

Hanfblatt: Wenn man Ihr Buch „Haschisch als Medikament“ liest, wird einem deutlich, dass sowohl die Cannabisforschung als auch Cannabispräparate im 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der westlichen Medizin spielten. Wodurch erklärt sich dieser damalige „Cannabisboom“?

Fankhauser: Der Cannabisboom kam folgendermassen zustande: Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann man sich in Europa für indischen Hanf zu interessieren, nachdem der in Indien stationierte englische Arzt William B. O’Shaughnessy eine Studie veröffentlichte, welche zeigte, dass Cannabispräparate bei verschiedensten Krankheiten halfen. In der Zeit zwischen 1880 und 1900 waren Hanfpräparate sehr populär, weil Hanf bei diversen Krankheiten erfolgreich half und es noch wenig andere wirksame Arzneimittel gab.

Hanfblatt: Für welche Indikationen wurden Cannabispräparate besonders angepriesen und für welche besonders gerne genommen?

Fankhauser: Die wichtigsten waren: Asthma, Migräne, Schlafstörungen, krampfartige Schmerzen und Hühneraugenmittel. Insbesondere die Hühneraugenmittel waren noch weit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr beliebt.

Hanfblatt: Welches waren die erfolgreichsten bzw. bekanntesten Präparate der Zeit?

Fankhauser: Einerseits waren es Halbfabrikate wie das „Cannabin tannicum MERCK“, welche in Apotheken zu Fertigpräparaten weiterverarbeitet wurden oder aber offizinelle, das heißt in den offiziellen Arzneibüchern vorkommende Zubereitungen wie Hanftinkturen (Tinctura cannabis indicae) oder Hanfextrakte (Extractum cannabis indicae). Daneben waren auch industrielle Fertigpräparate wie das Schlafmittel „Bromidia“ (ein Mischpräparat) oder diverse cannabishaltige Asthmazigaretten recht populär.

Hanfblatt: Ist aus dieser Ära in Europa lange vor der Hanfprohibition etwas über einen Gebrauch oder Missbrauch psychoaktiver Hanfzubereitungen als Rausch- oder Genussmittel bekannt?

Fankhauser: Hanf zu Rauschzwecken war in der Zeit als Hanf als Arzneimittel gebraucht wurde, praktisch unbekannt. Wohl lagen Berichte aus anderen fernen Ländern (zum Beispiel Ägypten und Indien) vor, wo man wusste, das Cannabis auch zur Berauschung diente. Ein Problem zu dieser Zeit war aber die Variabilität der Hanfpräparate; es kam vor, dass beispielsweise eine Hanftinktur hochwirksam oder aber auch praktisch nicht wirksam war.

Hanfblatt: Wer waren damals die aus heutiger Sicht wichtigsten Forscher in Sachen Hanf als Medizin?

Fankhauser: Der erwähnte englische Arzt William B. O’Shaughnessy (1809-1890), der französische Psychiater Jacques Joseph Moreau de Tours (1804-1884), die Deutschen Georg Martius und Carl Damian Ritter von Schroff (1802-1887). Wichtig waren auch die Arbeiten von Ernst Freiherr von Bibra (1806-1878), der 1855 das epochale Werk „Die narkotischen Genussmittel und der Mensch“ veröffentlichte, und vor allem diejenige von Bernhard Fronmüller aus dem Jahr 1869 („Klinische Studien über die schlafmachende Wirkung der narkotischen Arzneimittel“), für die er an eintausend Patienten Cannabis indica auf schlaffördernde Wirkungen testete. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es vor allem Franzosen und wenig später auch Schweizer Universitäten, insbesondere die Universität Bern, welche bis heute eine grosse Tradition in der medizinischen Hanfforschung aufrecht erhält.

Hanfblatt: Was waren die Gründe für das praktisch vollständige Verschwinden von Cannabispräparaten aus der medizinischen Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts?

Fankhauser: Es gab verschiedene Gründe. Erstens die medizinische Entwicklung, das heißt es kamen neue, „bessere“ Medikamente (zum Beispiel synthetische Schmerzmittel wie das Aspirin oder die Wirkstoffgruppe der Barbiturate, welche vor allem als Schlafmittel Verwendung fanden) auf den Markt, welche die Cannabispräparate stark konkurrenzierten. Zweitens die pharmazeutische Instabilität: Wie oben angetönt, war die unterschiedliche Wirksamkeit der Präparate lästig. Drittens rechtliche Einschränkungen: Durch die immer restriktivere internationale Gesetzgebung wurde die Verwendung der Cannabispräparate immer mehr eingeschränkt. Viertens wirtschaftliche Aspekte: Bedingt durch die beiden Weltkriege wurde die Einfuhr von indischem Hanf stark erschwert, beziehungsweise verteuerte sich massiv; zudem ging die Nachfrage nach indischem Hanf durch die gerade erwähnten Gründe zurück.

Hanfblatt: In den letzten Jahren ist nicht zuletzt durch die Entdeckung der körpereigenen Endocannabinoide und Cannabinoidrezeptoren das Interesse an Hanf und seinen Wirkstoffen als Heilmittel neu erwacht. Was kann die gegenwärtige medizinische Cannabisforschung aus der Pharmaziegeschichte lernen?

Fankhauser: Interessanterweise bestätigen die heutigen modernsten Forschungsergebnisse vielfach die bereits seit langem bekannten Anwendungen. Im Weiteren gibt der riesige nicht nur kulturhistorische sondern auch medizinhistorische Hintergrund der Pflanze zusätzliche Sicherheit in der Therapie.

Hanfblatt: Wo liegt die Zukunft von Cannabis als Medizin?

Fankhauser: Ich denke es geht in zwei Richtungen. Zum einen die moderne Cannabisforschung, welche sich mit Rezeptoren und detaillierten biochemischen Vorgängen beschäftigt, das heißt die Pflanze beziehungsweise das THC wird als Modellsubstanz genommen, aber das verwendete Medikament hat mit der Ursprungspflanze eigentlich nicht mehr viel zu tun. Auf der anderen Seite die direkte Verwendung der Pflanze, sei es als Tinktur, als Tee, als Öl, als Inhalation und so weiter. Diese Anwendungsformen haben auch einen starken Bezug zur Volksmedizin.

Hanfblatt: Behindert die Cannabisprohibition die Entwicklung und Verschreibung von Medikamenten auf Cannabisbasis in unnötiger Weise? Ist die Cannabisprohibition aus Ihrer Sicht nach heutigem medizinischen Kenntnisstand überhaupt noch zu rechtfertigen?

Fankhauser: Nein, meiner Meinung nach auf keinen Fall. Müsste Cannabis als Heilmittel nicht den drogenpolitischen Rucksack mittragen, wären Hanfmedikamente schon längst wieder geschätzte Arzneimittel. Ich würde mir wünschen, dass man das vielfältige Wirkspektrum dieser Arzneipflanze vorbehaltlos beurteilen könnte, dann stände einer Wiedereinführung von Cannabis in die Therapie wohl nichts im Wege.

az

Das Buch:

Manfred Fankhauser
„Haschisch als Medikament.
Zur Bedeutung von Cannabis sativa in der westlichen Medizin.“
332 Seiten
ISBN 3-9520758-9-2
veröffentlicht 2002 durch SGGP/SSHP
c/o Schweiz. Apothekerverein, Stationsstr. 12, CH-3097 Liebefeld BE

oder am einfachsten
zu 47,- SFr (31,- Euro) plus Versandspesen (Vorkasse) direkt vom Autoren:
Manfred Fankhauser
Dorfstr. 2
CH 3550 Langnau
Schweiz
fankhauser@panakeia.ch

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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