Militante Mittel für Medaillenspiegel
Nun werden die Doping-Fabrikanten kreativ
Im Hochleistungssport und Fitnessbereich ist die Leistungssteigerung durch Drogen weit fortgeschritten, die Optimierung des Körpers wird nachdrücklich zelebriert. Nun schwappen die „Designer-Drogen“ wie THG in die Labors der Doping-Kontrolleure.
Die US-amerikanische Leichtathletik befindet sich im größten Doping-Skandal ihrer Geschichte. Hunderte von Sportlern haben eine Mittel eingesetzt, das auf den Namen Tetrahydrogestrinone, kurz THG, hört. Nun gab es das Doping mit muskelaufbauenden Präparaten schon immer, neu ist, dass THG ganz offensichtlich allein und nur für das gezielte Doping entwickelt wurde.
Die kalifornischen Firma Balco, die sich auf Nahrungszusatzmittel spezialisiert hat, bastelte in ihren Labors eine Modifikation des Steroidhormons Gestrinon, in das vier Wasserstoff-Atome eingeführt wurden; fertig war das neue Mittel für eine erneute Erweiterung der Höchstleistungs-Grenze. Die Substanz stand bis vor kurzem nicht auf den Doping-Listen, gleichwohl verbieten diese Listen auch „verwandte Stoffe“, und das traf wohl auch auf THG zu. Darüber werden die Juristen streiten, fest steht nur, dass eine Entwicklung sichtbar wird, die man bislang nur aus dem Bereich der Rauschmittel kannte: Um Gesetze zu umgehen werden immer neue Substanzen kreiert. Dabei wird deutlich, dass in einer auf Hochleistung getrimmten Gesellschaft die Grenzen zwischen Nahrung, Medikament und Droge fließend geworden sind.
„Citius, altius, fortius.“ Das olympische Motto ist zum Imperativ für alle Sportler geworden, gerufen von Publikum, Medien und Sponsoren. Der Erfolgsdruck ist hoch, darüber hinaus lässt die moderne Chemie das erwünschte Gleichgewicht von Chancengleichheit und Leistungsmaximierung obsolet werden. Das olympische Komitee spielt eine Doppelrolle in diesem Spiel: Es will einerseits dem öffentlichen Verlangen nach immer krasseren Rekorden nachgeben, andererseits will es einen Sport bieten, der ohne leistungssteigernde Mittel auskommt. In Artikel 2 des Anti-Doping Codes des IOC von 1999 wurde definiert:
„Doping ist die Verwendung von Substanzen aus den verbotenen Wirkstoffgruppen und die Anwendung verbotener Methoden.“
Schön formuliert, aber ab wann wird ein Mittel verboten? Ist das nicht eine Frage der Dosierung? Und ist nicht jeder Sportler erpicht auf eine Ernährung, die seiner Leistung zuträglich ist?
Für die klassischen Dopingmittel wurden diese Fragen schnell beantwortet. Die sogenannten „anabolen Wirkstoffe“ sind nach wie vor der Renner unter den Athleten, führen sie doch zuverlässig zu Muskelwachstum. In der IOC-Statistik der positiven Proben von 1999 dominieren die Anabolika mit 50 Prozent. Marktführer ist hier Nandrolon. Neben den Muskeln wächst leider auch die psychische Wettkampfbereitschaft, und zwar bei regelmäßiger Einnahme soweit, dass die Sportler mit Aggressionen zu kämpfen haben. In den USA sind anabole Steroide trotzdem legal im Handel erhältlich. Fritz Sörgel, Leiter des Institut für Biomedizinische Forschung in Nürnberg-Heroldsberg, weist darauf hin, dass jeder fünfte US-College Student Steroide nimmt.
Zum Ärger der Wettkämpfer sind Anabolika leicht nachweisbar. Erfreut wechselten vor allem die Ausdauersportler daher seit Anfang der 90er Jahre zu EPO, dem Erythropoietin. EPO ist ein körpereigenes Hormon, wird in der Niere gebildet und regt das Knochenmark an, rote Blutkörperchen zu bilden. EPO ist die konsequente Weiterentwicklung des „Blutdoping“, das heißt einer Bluttransfusion mit dem eigenen Blut, mit der sich der finnischen Langstreckler Lasse Viren wohl zu seinen Olympiasiegen von 1972 brachte. Erst bei der Tour de France 1998 wurde der massenhafte Einsatz von EPO nachgewiesen. Damit waren auch die goldenen Zeiten von EPO vorbei, etwas neues musste her.
Das die USA im Fokus der neuesten Doping-Affaire stehen ist kein Zufall: Im Jahr 2000 hatte der ehemalige Olympia-Arzt Wade Exum behauptet, dass es zwischen 1988 und 2000 mehr als hundert positiv getestete US-Athleten gab, die (ungestraft) 19 olympische Medaillen gewonnen hätten. Das Anti-Doping-Programm des Olympischen Komitee der USA sei „weitestgehend PR“, so Exum. Aber schon vorher waren die amerikanischen Athleten und Funktionäre ins Gerede gekommen: Das IOC hatte den US-Verband aufgefordert, die Identität von 13 Muskelprotzen zu lüften, die kurz vor der Olympiade in Sydney (2000) positiv getestet worden waren. Die Amerikaner, größter Geldgeber des Weltsports, weigerten sich, und der Internationale Sportgerichtshof (CAS) segnete dies ab.
Grauzone
Dass die Anti-Doping-Agentur der USA (USADA) den THG-Skandal schnell an die Öffentlichkeit gebracht hat, wird als Zeichen gedeutet, dass es ernst wird mit der Dopingbekämpfung in den USA. Ein weiterhin bestehenden Problem ist allerdings, dass in den USA viele der Aufputsch- und Muskelmittel als Nahrungsergänzung („Supplements“) und nicht als Arznei klassifiziert sind. Eben diesen Umstand nutzt der Supplements-Hersteller Balco aus. Die Firma unterstützt eine ganze Reihe von Athleten, ihr Eigentümer Victor Conte ist Ernährungsberater verschiedener Spitzensportler, wie der Sprinterin Kelli White oder dem jüngst positiv auf THG getesteten Europameister im 100-Meter Lauf, Dwain Chambers. Alle bisherigen Dopingstoffe waren Arzneimittel, die – früher oder aktuell – legitim in der Medizin angewendet wurden. In THG-Fall ist erstmals ein Stoff nur für die missbräuchliche Anwendung entwickelt worden.
Die Unterscheidung zwischen zulässiger Nahrungsergänzung und unzulässigem Doping müssen die Sportverbände nun vermehrt an Grenzwerten festmachen. Keine einfache Aufgabe, wie das Beispiel der „Prohormone“ zeigt.
Im Jahr 2000 beschlagnahmte allein der deutsche Zoll 1.126.000 Tabletten mit dem Hauptbestandteil Androstendion, einem hormonellen Wirkstoff, der erst nach der oralen Einnahme zu Testosteron metabolisiert, müde Männer munter und vor allem kräftig macht. Ebenso stärkend wirkt ein anderes Prohormon mit dem Namen Norandrostendion. Dieser kleine Teufel schlüpfte auf wundersame Weise in die Zahnpastatube von Dieter Baumann, dem Olympiasieger über 5000 Meter. Die Prohormone sind verboten, das Problem ist: Die Metaboliten dieser Substanzen kommen auch in natürlicher Form im Körper vor. Während Menstruation und der Schwangerschaft erhöht sich der Spiegel, aber auch bei Männer kann es in Folge von einer angeborenen Enzymumwandlungs-Hemmung zu einer erhöhten Existenz des Hormons kommen.
Noch diffuser wird die Erkennung von „Doping-Sündern“ aufgrund der jüngst festgestellten Kontamination von an sich dopingfreien Kraftfutter. Die Deutsche Sporthochschule in Köln (DHS) kaufte in Wellness-Tempeln, Body-Building-Studios, Fachgeschäften für Sporternährung und dem Internet über 630 Nahrungsergänzungsprodukte und analysierte sie. Das Ergebnis: Knapp 15% der Starkmacher waren mit Anteilen von Prohormen durchsetzt. Unsaubere Bedingungen bei der Herstellung sind die Ursache für das Phänomen, rund die Hälfte aller Fabrikanten von Kraftfutter vertreiben nämlich auch Prohormone.
Noch gar nicht von den Doping-Listen erfasst ist das Kraftmittel Kreatin, der meistverkauften legalen Hilfsquelle für Kraftsportler. Wissenschaftler streiten noch über dessen Wirkung und Nebenwirkung, Body-Builder und Hochleistungsportler sind unbeeindruckt davon begeistert und schwärmen von einem Kraftanstieg von bis zu 20% in nur zwei Monaten. Ähnlich wie in der Szene für bewußtseinsverändernde Substanzen hat sich hier eine meist über das Internet kommunizierende Counter-Culture gebildet, die Erfahrungsberichte austauscht, Vorteile preist und vor Gefahren warnt.
Mittlerweile steht THG zwar auf der Doping-Liste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), es wird aber vermutet, dass zukünftig öfter zu „Designer-Doping“ kommen wird. Klaus Müller Bundesbeauftragter für Dopinganalytik und Leiter des Doping-Analyse-Labors in Kreischa befürchtet, das THG nur die Spitze des Eisbergs ist.
Im aktuellen Katalog der von der WADA gebannten Substanzen gibt es aber noch eine andere interessante Änderung: Koffein wurde vorläufig von der Liste gestrichen. Einen der Hauptsponsoren der Olympischen Spiele, die Coca-Cola Company, dürfte es freuen, denn bislang durften die Sportler nicht mit mehr als 12 Mikrogramm Koffein pro Milliliter Urin an den Start gehen.