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Psychoaktive Substanzen

Sexy Betel – Über den Betel-Boom auf Taiwan

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 Über den Betel-Boom auf Taiwan

Die Frucht der Betelpalme liefert die psychoaktive Hauptzutat für eines der weltweit am meisten konsumierten Genussmittel, den Betelbissen. Das Kauen dieses Betelbissens ist besonders in Indien, Sri Lanka und bei der Landbevölkerung Indochinas und Indonesiens beliebt. Da das Betelkauen den Speichel rot und die Zähne im Laufe der Zeit schwarz färbt und abstumpft und zudem durch starke Anregung des Speichelflusses nicht ohne häufiges Ausspucken des an Blut erinnernden Speichels praktizierbar ist, ist diese Gewohnheit allerdings im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums und der Anpassung dieser Länder an westliche Standards rückläufig und gilt zunehmend als unästhetisch, ungesund und hinterwäldlerisch.

Umso erstaunlicher, dass der Genuss des Betels dagegen in einem der wohlhabensten und modernsten Länder Asiens seit Anfang der Achtziger Jahre einen Boom erlebt. Taiwan, die demokratische chinesische Inselrepublik im äussersten Osten des Kontinents und am Rande des Pazifiks zwischen Japan und den Phillipinen gelegen, hat sich zur Hochburg der Betelafficionados gemausert. In dem subtropischen bis tropischen Klima der von Norden nach Süden 395 km langen und bis zu 144 km breiten Insel, durch die sich ein beeindruckender Gebirgszug mit Gipfeln bis zu einer Höhe von 3952 Metern zieht, gedeiht die Betelpalme optimal.

Das Betelkauen hat auf dem Eiland, das auch unter dem von portugiesischen Seglern bei ihrer „Entdeckung“ vergebenen Namen Formosa bekannt ist, wahrscheinlich eine sehr lange Geschichte. Schon bei der Urbevölkerung, vermutlich überwiegend malaiisch-polynesicher Abstammung, soll diese Gewohnheit sehr populär gewesen sein. Christliche Missionare des Neunzehnten Jahrhunderts beklagten die aus ihrer Sicht ekelhafte Sucht, das ständige Kauen und Ausspucken des schrecklich gefärbten Rotzes. Weisse Reisende derselben Zeit bewunderten die Schönheit der eingeborenen Frauen, bedauerten aber ihren unappetitlichen vom Betelkauen blutigroten Mund. Heute, nach jahrhundertelanger Einwanderung von Festlandchinesen und ihrer Dominanz in allen Bereichen der Gesellschaft, stellen die Stämme der Ureinwohner lediglich noch eine Minderheit von zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, die bei insgesamt 21,5 Millionen Menschen liegt.

Ihren Wohlstand hat die in dem von Nord nach Süd verlaufenden westlichen Flachland extrem dicht besiedelte Insel einer radikalen Industrialisierung in den letzten Jahrzehnten und der sprichwörtlichen Geschäftstüchtigkeit der Chinesen zu verdanken. Die Landwirtschaft steht allerdings nicht nach. Praktisch jeder nutzbare Flecken ist mit Reis, Zuckerrohr, Tabak, Gemüse und Obst bepflanzt, an der Küste auch zu Fischzuchtbecken umfunktioniert. Überall kann man Betelpalmanpflanzungen sehen. Im mittleren Westen und im Südwesten sind grosse Betelpalmenhaine unübersehbar. Die schlanke, ausgesprochen hübsche Betelpalme ist die Charakterpalme, wenn nicht sogar die Charakterpflanze von Taiwan schlechthin. An den Berghängen finden sich Teeplantagen und riesige Betelpalmpflanzungen, die vielerorts, und das ist einzigartig, so ineinander übergehen, dass die Betelpalmen den kleinen gestutzten Teesträuchern als Schattenspender dienen. Diese Art der vom ästhetischen Gesichtspunkt her beeindruckend schönen Mono- bzw. Duokultur wird durchaus auch kritisch betrachtet. Die Betelpalmen werden nämlich zunehmend an extra für sie vom Bergurwald gerodeten steilen Hängen gepflanzt. Vom Verlust an natürlichem Lebensraum abgesehen sind sie dort oft auch nicht in der Lage, dem Boden auf Dauer genügend Halt zu geben. Auf Grund der hohen Regenfälle in den Monsunzeiten auf der immer wieder von Taifunen heimgesuchten und von Erdbeben geschüttelten Insel kann es dadurch leicht zu Erosion und Bergrutschen kommen. Zweifellos eine ökologisch bedenkliche Entwicklung.

Betel-Box in Lugu
Betel-Box in Lugu

Der reife getrocknete Betelsame und seine faserige getrocknete Fruchthülle werden zwar schon seit langer Zeit in der chinesischen Medizin als vielseitige Heilmittel eingesetzt, seit Anfang der Achtziger Jahre ist aber der Anbau und Handel zu Genusszwecken auf Taiwan zu einem Milliarden-(US)-Dollar-Geschäft geworden. 1982 waren auf Taiwan lediglich 4.400 Hektar Land mit Betelpalmen bepflanzt, 1989 schon 36.000 Hektar und 1997 56.300 Hektar. Das ist mehr als eine Verzwölffachung der Anbaufläche in nur 15 Jahren! Schwerpunkt für diesen Boom waren die Provinzen Nantou, Chiayi und Pingtung am westlichen und südwestlichen Rand des zentralen Gebirgsmassivs. Die Produktion wurde 1997 auf 156 Millionen Kilogramm Betelfrüchte geschätzt, das wären mehr als sieben Kilogramm für jeden Einwohner! Für die Bauern lohnt sich das Geschäft. Das durchschnittliche Einkommen soll doppelt so hoch, aber manchmal bis zu zehn mal so hoch sein, wie das für den Anbau von Reis. Der Anbau von Betelpalmen ist auch schon bei kleinen Pflanzungen rentabel. Er erfordert nur vergleichsweise geringen Arbeitskrafteinsatz. Das macht ihn besonders für die zunehmend alternden Landwirte, deren Kinder sich immer weniger für die bäuerliche Arbeit interessieren und lieber in andere Berufszweige drängen, zusätzlich interessant. Diese Bedingungen machen den Boom von Seiten der Produzenten verständlich, die sogar schon vom Betel als dem „Grünen Gold“ sprechen, aber wie sieht es auf Seite der Konsumenten aus?

Auf den ersten Blick scheint in Grossstädten wie Taipeh, Tainan, Taichung oder Kaohsiung der Betelkonsum nicht sonderlich ins Auge zu stechen. Die Städte wirken recht sauber; die vielen modebewußten jungen Menschen scheinen eher dem Kaffeegenuss in überteuerten aber total hippen japanischen und amerikanischen Coffee-Shop-Ketten zu frönen. Bei ihnen gilt das Betelkauen als antiquiert. Doch wenn man genau hinsieht, erkennt man plötzlich im Strassenbild auch die Glaskästen, in deren Auslage sich die frischen Betelbissen oder täuschend echt aussehende Plastikmodelle der erhältlichen Varianten befinden. Dahinter meist Verkäuferinnen, seltener Männer, die die entsprechenden Bissen in Serie herstellen und abpacken. Dies geschieht im Vergleich zu anderen Ländern unter vergleichsweise hygienischen Bedingungen. Sogar Schutzhandschuhe werden oft benutzt.

Und dann stellt man bei genauer Betrachtung der Bissen noch zwei landestypische Besonderheiten fest: Der lokal konsumierte Betelbissen enthält nach meinen Beobachtungen keinen Tabak, wie es sonst in fast allen anderen Ländern der Fall ist, und noch wichtiger, er nimmt nicht den knackigen Samen aus der halbreifen noch grünen Nuss (Bali) oder den ungetrockneten Samen aus der reifen orangegelben bis braunen Nuss (Sri Lanka) oder den getrockneten reifen Samen (Indien, Thailand) als Grundlage, sondern die ganze noch blutjunge weissgrüne Frucht, die vom Samen gerademal den rudimentären Embryo beinhaltet!

Die Betelfrucht in diesem Zustand wird in drei verschiedenen Formen zum Kauen angeboten:

1. Die wie eine Eichel aussehende Frucht mit Stielansatz, vielleicht insgesamt 3,5 cm lang, wird mit einem speziell zugeschnittenen frischen Betelpfefferblatt eingewickelt, das zuvor mit ein wenig einer Paste aus gebranntem und mit Wasser versetztem Kalk bestrichen wurde. Der Stielansatz ragt raus, so dass man ihn zum Genuss abbeissen und ausspucken kann, um dann den ganzen Bissen in den Mund zu schieben und zu kauen. Er verhindert ein zu schnelles Austrocknen der saftigen Frucht vor dem Konsum und erhöht damit die Haltbarkeit. Diese Form des Betelbissens ist mit Abstand am beliebtesten. Ein Bissen kostet etwa 5 Taiwan-Dollar (ca. 40 Pfennig). Meist werden aber Ziplockbeutel verkauft, in denen sich etwa ein Dutzend der vorbereiteten Bissen befinden, zu 50 Taiwan-Dollar (ca. 4 DM).

Für den Hausgebrauch kauft man Früchte, Betelpfefferblätter und gebrannten Kalk auf dem Markt und verzichtet oft auf das Einrollen der Betelfrucht. Man schiebt sich stattdessen erst die vom Stielansatz durch Abbeissen befreite Frucht und dann das mit Kalkpaste bestrichene Betelpfefferblatt in den Mund.

2. Für „Hardcore-Betelkauer“ gibt es an einigen wenigen Ständen sogar gleich zwei, meist etwas kleinere, praktischerweise mit dem Messer schon vom Stielansatz befreite Früchtchen parallel nebeneinander in ein mit Kalkpaste bestrichenes frisches grünes Betelpfefferblatt eingewickelt.

3. Recht beliebt wiederum ist die dritte Variante: Der Stengelansatz der frischen Frucht wird mit dem Messer entfernt, die knackige etwa 2 bis 2,5 Zentimeter lange Frucht in der Mitte aufgespalten, ohne dass sie auseinanderfällt, in der Spalte mit ein wenig einer relativ geschmacksneutralen braunen Paste, vermutlich aus Catechu-Gerbstoff, gebranntem Kalk und Wasser, bestrichen und zuguterletzt ein kleines Scheibchen des grünen unreifen Fruchtstandes einer Pfefferart in der Mitte plaziert. Dieser Fruchtstand schmeckt übrigens genauso erfrischend pfeffrig, spearmintartig wie die frischen Betelpfefferblätter. Dieser Bissen wirkt optisch besonders ansprechend.

Ansprechend sind auch die Betelverkäuferinnen, wenn man ersteinmal über die städtischen Ausfallstrassen über Land fährt. Dann erkennt man, dass die Betelverkaufsstellen, die auffälligsten Läden überhaupt sind und wird sie nicht mehr übersehen können. Überall leuchtet und blinkert es wie bei einem bunten Grosseinsatz der Strassenverkehrswacht. Strahlenkränze aus Neonröhren, grosse Schrifttafeln, Abbildungen von Betelpalmen und -früchten deuten auf von bunten Neonröhren bekränzte Glaskästen hin, in denen oft hübsche junge Frauen auf Barhockern in bisweilen extrem aufreizenden ungewöhnlich freizügigen sexy Klamotten, oft Betelbissen vorbereitend, mehr oder weniger gelangweilt oder genervt dreinblickend auf Kundschaft warten. An manchen Strassen erinnert das mehr an einen Strich als eine sich bei einem mittlerweile hohen Angebot an Betel in gegenseitiger Konkurrenz übertrumpfende Betelverkaufsmeile, die hier um männliche Betelkauerkundschaft, vom Mopedraser bis zum LKW-Fahrer buhlt. Natürlich gibt es an den Ständen auch Zigaretten, manchmal Schmuddelbildchen, Getränke oder Eis. Sicherlich mag die Betel-Box für das ein oder andere Betel-Girl der Einstieg in die Prostitution sein, doch im Vordergrund steht im Allgemeinen der Betelverkauf, der meist recht flott, allenfalls mit einem kleinen Flirt am runtergekurbelten Wagenfenster, über die Bühne geht. Mit Speck fängt man halt Mäuse oder eben den typischen eher proletarischen männlichen Betelkauer. Als den Strassenverkehr störend scheint man diese Art der aufgetoppten Kundenwerbung nicht zu betrachten. Das gilt auch für das Betelkauen selbst. Manch ein Busfahrer auf dem Lande gehört zu den Dauerkauern. Im Süden des Landes kaut ein Grossteil der ländlichen Bevölkerung, egal ob Mann oder Frau. Die Frauen sind in Taiwan für asiatische Verhältnisse sowieso relativ emanzipiert. Die Zahl der Konsumenten geht in die Millionen, und wer kaut, der kaut den ganzen Tag, also eigentlich ständig. Im Schnitt wird vielleicht alle 30 bis maximal 60 Minuten nachgeschoben. Auf mich wirkten die Dauerkauer subjektiv oft etwas weggetreten und stumpf, zumindest nicht gerade geistig sonderlich flexibel. Aber das muss ja nicht unbedingt allein am Betel liegen. Lokale chinesiche Mediziner betrachten das Betelkauen zurückhaltend, lediglich als gewohnheitsbildend, und schreiben der Betelpalmfrucht selbst keine negativen Wirkungen zu, wenn sie nicht „exzessiv“ gekaut wird. Eine gehäufte Zahl von Mundkrebsfällen und Mundschleimhautschäden wird auf „Zusätze“ zurückgeführt. Die Kalkpaste mag hier ihren Anteil haben. Die seltene (siehe oben) Zugabe von Tabak dürfte in dieser Hinsicht bedenklich sein.

Nun fragt man sich natürlich, was das Besondere am Betelkauen ist. Wie wirkt das Zeug eigentlich?

Zunächst muss man klarstellen, dass der Betelgenuss ähnlich wie beim Zigarettenrauchen bei regelmässigem gewohnheitsmässigem Konsum ein anderer ist als beim gelegentlichen experimentellen Kauen eines einzelnen Bissens. Der Bissen, der dem Gewohnheitskauer genau den kurzen Kick gibt, den er braucht um ein gewisses angenehmes Dröhnlevel zu erhalten, das ihn nicht ausser Funktion setzt, sondern vielleicht erst über den Tag peppt, mag den Neuling aus den Socken hauen. Und dieses Risiko ist bei den Betelbissen, wie sie in Taiwan hergestellt werden, besonders hoch, denn es handelt sich um die mit Abstand potenteste Form eines reinen Betelbissens (ohne Tabak oder andere psychoaktive Zusätze) überhaupt!

Wenn man als Neuling einen ganzen knackigen Betelbissen Taiwan-Style in den Mund nimmt und zu kauen anfängt, dann dringt sofort der Saft aus der wässrigen Frucht, ihre feinen Fasern vermengen sich mit dem würzigen Betelpfefferblatt und der Kalkpaste zu einer orangeroten Masse. Innerhalb kürzester Zeit schiesst dazu Speichel im Überfluss in die Mundwinkel, man muss ausspucken. Gleichzeitig wird durch die Mundschleimhäute schon soviel Wirkstoff resorbiert, dass man einen mehr oder weniger heftigen an Nikotin erinnernden körperlichen Rush im Kopf erlebt, einen leichten Schwindel, gleichzeitig Druck auf der Magengegend, angeregten Stuhlgang, Schweissausbrüche, eine Art Adrenalinflash, dabei ein waches aber abgetretenes stumpfes Gefühl im Kopf, allerdings ohne Einschränkung der Handlungsfähigkeit bei Willensanstrengung. So erging es zumindestens mir bei meinen heroischen Selbstversuchen. Der ganze Rush dauerte 20 bis 30 Minuten, nach ca. 60 Minuten war die Wirkung im Wesentlichen vorbei. Eine gewisse Wachheit und Drömeligkeit hielt noch etwa eine zusätzliche Stunde an. Bei einem meiner Bissen, hatte ich schon nach wenigen Augenblicken das Gefühl, das wäre zuviel und spuckte den ganzen Bissen wieder aus. Ich hatte allerdings in kürzester Zeit schon soviel resorbiert, dass es mir vorkam als wäre ich an meinem Kopf kurz hochgehoben und in derselben und doch weil sich meine Befindlichkeit abrupt verändert hatte veränderten Umgebung wieder abgesetzt worden und müsse nun noch hektisch irgendetwas erledigen um dann entspannt und in Ruhe den anstrengenden Flash zu überstehen. Das Ende vom Lied war eine halbe Stunde Umtriebigkeit und als ich mich schliesslich hinlegte um endlich zu relaxen, liess das Zerren auch schon langsam nach. Es gibt sie also doch war meine Erkenntnis: Die Betel-Überdosis! Die Lektion lautete demnach: Kaue den Betelbissen behutsam und mit Respekt!

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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