Kategorien
Cannabis Drogenpolitik

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt

hanfblatt, Nr.111, Januar 2008

This will get you medicated!

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt. Das verändert auch die Kifferkultur.

Über die vergangenen Jahre hat sich immer deutlicher herausgestellt: Cannabis hilft bei schweren Krankheiten. In den USA ist daher in 12 Bundesstaaten Patienten die Anwendung von Marihuana oder Haschisch erlaubt, es soll an die 300.000 autorisierte Cannabis-Nutzer geben. Die Regierung in Washington kämpft gegen die Verschreibungswelle.

Es ist eine groteske Situation, die sich da in den USA entwickelt hat. Die Bundesregierung unter George W. Bush wehrt sich strikt gegen die Zulassung von Hanfprodukten als Medizin. Mehr noch, sie bekämpft die Anstrengungen einzelner Bundesstaaten Cannabis für Schwerkranke zugänglich zu halten. Dabei haben mittlerweile 12 der 50 Bundesstaaten Gesetze erlassen, welche die Abgabe von Cannabis an Patienten regeln. Mittlerweile soll es in den USA 250.000 bis 300.000 autorisierte Medizinalhanf-Nutzer geben.

So ist auf regionaler Ebene legal, was auf Bundesebene illegal ist. In Staaten wie Montana und Colorado kam es im vergangenen Jahr zu seltsamen Szenen: Der örtliche Polizei hatte sich in einigen Städten damit arrangiert, dass Ärzte Marihuana verschreiben, Patienten, die mit einem Beutel angetroffen wurden, blieben unbehelligt. Am nächsten Tag aber verhafteten Beamte der Strafverfolgungsbehörde DEA die Personen und räumten die Läden aus, in denen die Patienten ihr Cannabis erhalten hatten.

Der Vertrieb des heilkräftigen Cannabis‘ ist ohnehin die Crux: Zwar dürfen Ärzte Hanf verschreiben, nur gibt es aufgrund der Bundesgesetze keine offiziell legalen Möglichkeiten für die Kranken, an ihr Medikament zu kommen. So entstanden Cannabis-Clubs, die unterschiedlichen funktionieren. In einigen erhält man nur Cannabis, wenn man ein ordentliches Clubmitglied ist. Bei anderen reicht es aus, wenn man am Eingang seine Rezept vom Arzt vorzeigt. In beiden Fällen öffnet sich dahinter meist eine breite Auswahl an Therapeutika. Verschiedenen Sorten, meist grob nach Sativa und Indica und ihres Wirkungsgrades getrennt, Öle, Butter und Kekse sind in unterschiedlichen Mengeneinheiten zu kaufen. Ein typischer Beutel mit einer 1/8 Ounce (3,5 Gramm) kostet 50 Dollar. In einigen Clubs zahlen arme Kranke nichts für ihr Gras, die anderen Klienten tragen dieses Modell. Sogar Haschisch gibt es auf Rezept.

Die Hochburg dieser Entwicklung ist Kalifornien. Alleine hier sind zur Zeit über 10.000 Patienten registriert. Die Genehmigungen für Rauschhanf gelten ein Jahr lang. Die Clubs agieren halblegal, aber nicht im Untergrund. Ihre Namen klingen wie aus einem Hippie-Streifen: Das „Purple Heart Center“ in Oakland, das „Love Shack“ und die „Bernal Heights Arzneiausgabe“ in San Francisco.

Der dortige „Medical Cannabis Act“ wurde 2005 erlassen, damit wurde ein Entwicklung angestoßen, von der selbst die Cannabis-Befürworter nicht immer genau wissen, ob sie gut verläuft: Innerhalb kurzer Zeit entstanden fast 100 Clubs, manche von Aktivisten der ersten Stunde, manche aus reinen Profitgründen gegründet. Nicht immer war klar, wer unter welchen Umständen Cannabis erhielt. Der Druck aus Washington wurde größer. Seit Sommer 2007 müssen sich die Clubs nun einer strengen Sicherheitsüberprüfung stellen, die Bürokratiemühle kam in Gang. Gesundheitsamt, Arbeitsschutz, Feuerwehr: jeder brachte seine Richtlinien vor. 6.600 Dollar Anmeldegebühr sind seither pro Club fällig.

Clubs wie die „HopeNet Co-Op“ und der „Good Fellows Smoke Shop“ haben die Zulassung erhalten, auch, weil sie eng mit den Behörden zusammenarbeiten. Matt Kumin, ein Anwalt aus San Francisco, berät Cannabis-Clubs und ist überzeugt: „Nur die Kooperationen werden überleben, die Allianzen mit Gesundheits- und Strafverfolgungsbehörden eingehen und auch Forscher ihre Projekt überprüfen lassen.“

Martin Olive vom „Vapor Room“ stimmt dem zu, er und sein Kompagnon arbeiten mit „Americans for Safe Access“ zusammen, einer Vereinigung von Bürgerrechtlern, Wissenschaftler und Patienten mit über 40.000 Mitgliedern (sic!), die sich für den ordentlichen Zugang zu Cannabis einsetzen. Olive berichtet von 75 Todkranken, die sein Club kostenlos mit Cannabis versorgt. Im „Vapor Room“ wird ein großer Teil des Medizinalhanfs gleich vor Ort konsumiert, „das schließt den Wiederverkauf aus“.

Abseits der Cannabis-Clubs haben sich Lieferservices und Head-Shops mit Hinterzimmer etabliert, die Autoren Patrick McCartney and Martin A. Lee („Acid Dreams“) sprechen gar von 400 Stück, 200 davon alleine in der Region in und um Los Angeles. Die Zeiten der „Social Clubs“ sind vorbei, neuerdings wird von „Dispensaries“ gesprochen, ein medizinischer Fachausdruck für Arzneiabgabestellen. Gras aus Mittel- und Südamerika wird in diesen modernen Apotheken kaum noch verkauft, die örtlichen Grower in Orange County und dem Rest der USA liefern seit Jahren gute Qualität. Man spricht in Anlehnung an goldene Zeiten bereits vom „Großen kalifornischen Grasrausch“.

Es mehren sich die Zeichen, dass die gute Idee der Abgabe eines naturnahen Medikaments an schwerkranke Menschen aus dem Ruder gelaufen ist. Darunter leiden vor allem die tatsächlich Kranken: Die Genehmigungen führen immer wieder zu Problemen, sei es, weil ein Patient von einem Bundesrichter angeklagt wird oder er mehr als die genehmigten Pflanzen in seinem Garten groß gezogen hat. Die Zahl der Anklagen gegen Patienten ist enorm angestiegen, immer wieder schließt die DEA auch sauber arbeitende Clubs und vernichtet das Cannabis vor Ort. Ärzte werden verdächtigt, ohne vernünftige Diagnose Rezepte auszustellen. Journalisten proben die Praxis und erhalten tatsächlich ohne Probleme eine Verschreibung. Es ist ein absurdes Durcheinander entstanden.

Der Wunsch nach Normalisierung des Cannabiskonsum für jedermann droht die zarte Wurzel des Medizinalhanfs anzufressen.
Mit großen Problemen sind diejenigen konfrontiert, die Cannabis für medizinische Zwecke anbauen. 1996 rief der Bürgermeister des kalifornischen Santa Cruz den 15. November zum Tag des “medizinischen Cannabis” aus und ehrte Valerie Corral in seiner Rede. Damals gediehen unter ihrer Obhut Hanfpflanzen für 125 schwerkranke Menschen, denen sie die harzhaltigen Blütenstände lieferte. Zwei Jahre später wurde ihre hoch gelobte Plantage von der DEA hoch genommen.

Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten (Stand: Januar 2008)
Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis
Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung
Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten
(Stand: Januar 2008)

In anderen Bundesstaaten ist die Medizinalhanf-Bewegung ebenfalls weit fortgeschritten. Zur Zeit haben neben Kalifornien noch elf weitere Bundesstaaten Cannabis als Medizin (meist über Volksentscheide) legalisiert: Alaska, Colorado, Hawaii, Maine, Maryland, Montana, Nevada, New Mexico, Oregon, Rhode Island, Vermont und Washington.

Meist ist nur relativ genau geregelt, wer wievielt Cannabis sein Eigen nennen darf. Beispiel Rhode Island. Hier darf „ein Patient zwölf Pflanzen besitzen“ und 2,5 Ounces (rund 70 Gramm) Gras besitzen. Beispiel Oregon: Dort hat die Konkretisierung des Cannabis-Gesetzes im Jahr 2006 fest geschrieben: Jeder Patient darf bis zu sechs reife Pflanzen und 18 Setzlinge beherbergen, zudem 24 Ounces (680 Gramm) Cannabiskraut für den persönlichen Gebrauch horten. Auch in Oregon ist der Erhalt von Cannabis kein Einzelfall mehr: Das medizinische Programm umfasst rund 15.000 Patienten.
Auch die Indikationen sind von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Meist umfassten sie AIDS, Krebs und Multiple Sklerose, nicht immer auch Glaukom, Epilepsie und chronische Schmerzen.

Angesichts solcher Zahlen ist es kein Wunder, dass die Gegner der Verschreibung vermuten, dass jeder mit Lust auf Rausch sich zu einem Arzt bewegt. Und tatsächlich: Besonders verschreibungswillige Mediziner werden auf Listen im Internet geführt. Auf der anderen Seite stehen eine große Anzahl von Menschen mit ernsthaften Leiden, wie Multipler Sklerose oder AIDS, die enorm von der Wirkung des natürlichen Cannabis profitieren. Die Entkriminalisierung-Bewegung, vor allem aber die Kiffer, die Cannabis nur aus verständlichen Kreativitäts- und Entspannungsgründen konsumieren, werden sich überlegen müssen, ob ihr Aufsatteln auf das Pferd mit Namen „Cannabis als Medizin“ dieses nicht allzu schnell zum erlahmen bringen wird. Damit wäre dann niemanden mehr geholfen.

Kategorien
Rezensionen

Rezension Ingo Niermann Adriano Sack: Breites Wissen

HanfBlatt Nr. 107

Registerfreaks

In den Zeiten der Unübersichtlichkeit sollen Listen und Lexika für Ordnung sorgen. Seit Ben Schotts Sammelsurium ist der Listenwahnsinn ausgebrochen, das Buch von Ingo Niermann und Adriano Sack setzt noch einen drauf. Sie führen uns in den Kosmos des „Breiten Wissens“, der „seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer“. Auf knapp 200 Seiten folgt eine Liste nach der anderen: wer was mit welcher psychoaktiven Substanz mal angestellt hat und was sich mit den anderen noch anstellen lässt.

Auf der einen Seite ist es sicherlich Effekthascherei, eine Art „Gala“ der prominenten Kokser und User aufzuführen. Auf der anderen Seite: Bei dieser Menge an Informationen über Drogen ist es eine gewichtige Leistung der Autoren, wenig Fehler zugelassen zu haben. Von Harnsperre nach Engelstrompetenkonsum ist zwar in der Praxis wenig bekannt, auch von rektalen Kokain-Heroin-Cocktails bei Pferden träumte wohl nur Harry Anslinger. Die kürzeste Liste ist die der drogenfreien Musiker, hier steht nur der Name „Frank Zappa“ und auch das ist nicht ganz richtig, denn Zappa war zum einen die Wirkung von Marihuana wohlbekannt, er hat nur später nicht mehr gekifft, zum anderen war er starker Zigaretten-Raucher.

Das Buch durchzieht der Tonfall eines Johannes B. Kerner: „Es gibt ja Berichte, die besagen, dass sie ihre Frau schlagen. Ich sage das ja nicht, nur die Berichte. Was sagen sie dazu?“ Im vorliegenden Werk ist diese Art der anbiedernden Distanz ironisch überspitzt, dass macht den Listenirrsinn erträglicher. Die Autoren tragen viel Wissenswertes und noch mehr Anekdoten zusammen, eine Sammlung, die in dieser Form bisher nicht existiert. Hut ab!

So erfährt man viel über die Drogenaffinität der Helden des modernen Zeitalters: Filmstars, Politiker, Modemacher, Fußballspieler und deren Trainer, irgendwie scheint jeder schon mal eine Pille geworfen oder den Rüssel ins Pulver gesteckt zu haben. Aufgelistet werden die „Dämlichsten Drogenfilme“, „Wichtige Drogenhändler“, „Großartige Drogenszenen der Filmgeschichte“ (eine interessante List, nur fehlt hier aus meiner Sicht „Blueberry“ von Jan Kounen), es gibt eine Liste mit „Woran man gutes Haschisch erkennt“, eine über „Literarische Drogenklassiker“, mehrere über das Verhalten von Tieren auf Droge und eine über „Deutschsprachige Kokainlieder“. Dazu kommen Tipps wie „So faltet man ein Kokainbriefchen” oder Bauanleitungen für ein Erdloch. Das alles ist kurzweilig, da kann jedermann in der Mitte anfangen und erwischt trotzdem den Faden, denn es gibt ja keinen. Höchstens den weiteren Beweis, dass die „bösen Drogen“ inmitten der Gesellschaft angekommen sind.

Wenn man denn mäkeln will liegt das eigentliche Problem des Buches in seiner Kurzatmigkeit. Das lässt sich bei Listen zwar kaum vermeiden, wird aber hier erwähnt, damit das Buch nicht in den Ruf gerät, eine Art amüsantes Nachschlagewerk, gar ein Lexikon zu sein. Denn es ist oft nur die halbe Wahrheit, die dem Leser präsentiert wird. Wer dieses Buch liest sollte sich auf eine Reise gefasst machen, einen (Über-) Flug über ein Meeresregion – wer tauchen will, sollte eine andere Karte zur Hand nehmen.

Ein „toxikologisches Manifest“ der Autoren schließt das Buch ab. Die dort aufgeführten 10 Punkte fassen den Irrweg des „Krieges gegen die Drogen“ noch einmal hervorragend zusammen. Fazit: In Zeiten der Lexika- und Listenmanie ist das Werk ein weiteres schönes Sammelsurium, das einige Mythen aufklärt und andere erst schafft. Endlich dürfen Anekdoten und Wissenschaft miteinander spielen.

 

Ingo Niermann, Adriano Sack: Breites Wissen.
Die seltsamen Wege der Drogen und ihrer Nutzer
Eichborn Berlin Verlag 2007
180 Seiten
14,90 Euro
ISBN: 978-3-8218-5669-8