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Cannabis Gesundheitssystem

Cannabis und die Lunge

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Ergänzt im Juli 2007

Die Rauchzeichen sind deutlich: Cannabisrauch schadet der Lunge

In den letzten Jahren wurden eine Reihe von neuen, ernst zu nehmenden Studien zur Auswirkung des Kiffens auf die Lunge veröffentlicht. Schon in früheren Untersuchungen wurde darauf hingewiesen, dass regelmäßige Cannabis-Raucher, egal ob sie Cannabisprodukte nun mit oder ohne Tabak verbrennen und einatmen, statistisch gesehen eher an Husten und verschleimten Atemwegen leiden.

Genauer wollten es eine Forschergruppe um Michael Roth wissen. Sie untersuchten die Lunge von 40 Freiwilligen mit verschiedenen Konsummustern: (1) Nichtraucher, (2) Pur-Kiffer ohne Zigarettenkonsum, die rund fünf Spliffs in der Woche durchzogen, (3) Raucher, die eine halbe Schachtel Zigaretten täglich konsumierten und (4) Kombi-Kiffer, die sowohl kifften als auch Tabak rauchten. Jedes Mal wurden die Atemwege der Probanden per Endoskop videografiert und Lungenschleim untersucht (s. Foto). Das Ergebnis: Alle drei Rauchergruppen wiesen eine höhere Reizung der Bronchien auf als die Nichtraucher, wobei sich die Lungen der Pur-Kiffer und die der Tabak-Raucher kaum unterschieden. Am schlechtesten sah es bei den Kombi-Kiffern aus.

In Neuseeland untersuchten Robin Taylor und seine Kollegen über einen langen Zeitraum wiederholt den Atemtrakt von annähernd 1000 freiwilligen Kiffern, jeweils in deren 18ten, 21ten und 26ten Lebensjahr. Das Ergebnis: Sie litten im Vergleich zu Nichtrauchern eher an Husten, Schnupfen und Kurzatmigkeit. Dies galt unabhängig davon, so die Autoren, ob die Probanden zusätzlich auch noch Zigaretten rauchten. Wichtig: Es herrscht ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Menge des in dem Zeiträumen gerauchten Cannabis und der Schwere der Schädigung der Lunge. Gerade die Dauerkiffer, so die Autoren, leiden eher an Husten, vermehrtem Auswurf und Atemnot bei Belastung.

Das über allen professionellen Rauchern hängende Damoklesschwert hört auf den Namen „Krebs“. Auch hier gab es in den letzten Jahren wichtige Erhebungen. Grundsätzlich wohnt auch dem reinen Cannabisrauch das Potenzial inne nsere Zellen mutieren zu lassen und zu Krebs zu führen. Die meisten Studien nutzen aber enorm hohe Dosen, um diesen Effekt an den Zellen nachzuweisen. Am saubersten ist daher formuliert: Cannabisrauch kann, muss aber nicht Krebs auslösen. Selbst ohne Tabak birgt der dauerhafte und über einen langen Zeitraum betriebene Konsum von Cannabis die Gefahr der Krebserkrankung.

1999 untersuchte Zuo-Feng Zhang und eine Gruppe von Forschern an der Universität von Kalifornien 173 Lungenkrebspatienten und Nichtraucher-Kontrollgruppe. Das Ergebnis: Ein Krebsrisiko erhöht sich mit Dauer und Dosis des Marihuana-Konsums. Langzeit-Kiffer, so die Autoren, erkranken 2,6 Mal häufiger an Krebs als Nichtraucher. Und das Risiko auf Krebs steigt um das 10-36-fache, wenn man zudem noch regelmäßig Fluppen raucht.

Für Krebs wie für andere Krankheiten gilt: Oft ist es sehr problematisch einen Kausalzusammenhang zum Cannabis-Konsum nachzuweisen. Die meisten Kiffer rauchen parallel Tabak, viele kennen die Wirkung von Hanf nur aus Tabak-Joints. Es besteht zwar der starke Verdacht, noch ist aber nicht nachgewiesen, dass der pure Genuss von Cannabis zu Krebs führt.

Neuseeländische Forscher haben 2007 die Auswirkung von Cannabis- und Tabakrauch auf die Lunge erneut verglichen (Thorax, Juli 2007). Sie untersuchten vier Testgruppen: Erwachsene, die nur Cannabis rauchen, solche, die nur Tabak genossen, eine Gruppe, die beides konsumierte, und Nichtraucher. Die Cannabis-Pur-Raucher mussten mindestens 5 Jahre lang einen Joint pro Tag geraucht haben, die Raucher ein Jahr lang mindestens eine Schachtel Zigaretten pro Tag. Nach dem Durchlauf der Statistik brachten die Forscher die Durchschnittswerte auf eine prägnante Formel: ein Pur-Joint ist für die Lunge das Äquivalent von 2,5 bis fünf hintereinander gerauchten Zigaretten. Nach Ansicht der Wissenschaftler liegt das zum einen an der Tatsache, dass die Inhalation bei Pur-Rauchern viel tiefer und länger erfolgt.

Die schlimmsten Lungenschäden haben die Experten um Richard Beasley allerdings bei den Tabakrauchern und THC-Tabak-Kombinierern festgestellt. Sie litten öfter am sogenannten Lungenemphysem, einer Lungenkrankheit, die durch die Zerstörung der Lungenbläschen entsteht. Bei den Pur-Kiffern stellten die Forscher zwar kein Lungenemphysem fest, dafür aber leichtere Symptome wie pfeifenden Atem, Husten und „Schleimabsonderungen“, wie es in dem Bericht hieß.

Wohlgemerkt: Seit tausenden von Jahren verschafft Cannabis Asthmatikern Erleichterung, denn das Inhalieren des Rauches führt zu einer Erweiterung der Bronchien, die bis zu einer Stunde anhält. Und während so mancher Dauerkiffer fröhlich 85 Jahre alt wird, erwischt manchen sportlichen Veganer bereits mit 52 der Sensenmann. Wie so oft kommt es wohl auch auf die richtige Einstellung an. Und wer schon meint viel Gras und Hasch rauchen zu wollen, der sollte zumindest darauf achten seine kuschelige Körper-Geist-Einheit in Form zu halten. Das Motto „Viel hilft viel“ ist, egal, um was es nun geht, meist Raubbau am Körper, der sich früher oder später auf seine Weise rächen wird. Die junge Lunge kann sich erholen, ist sie aber erst einmal gründlich geteert wird es schwieriger mit dem Genuss der Riester-Rente.

Fazit: Die schädlichen Effekte von Tabak und Cannabis addieren sich, raucht man die beiden Kräuter zusammen, ist das weder aus Gründen eines kräftigen Highs noch aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll. Das klingt zwar puristisch, ist aber leider mittlerweile eine nachgewiesene Tatsache.

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Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen Specials

Alkohol Special: Der Geist aus der Flasche

hanfblatt nr.108, Juli 2007

Vom Geist aus der Flasche

Am Alkohol zeigt sich, wie eine Gesellschaft mit einer Droge lebt, mit der sie eigentlich nicht umgehen kann

Obwohl Alkohol eine stark psychoaktive Substanz ist, hat sich die flüssige Droge nicht nur weltweit verbreitet, sie ist auch in vielen Ländern legal zu erwerben. Der Reiz des Rausches ist hoch, die Lust auf Wein, Bier, Schnaps oder Alcopops ungebrochen. Der Alkohol nimmt eine zentrale Stellung unter der Rauschmitteln ein. Warum bloß?

Fusel besitzt einen enormen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung, 73 Prozent der Bundesbürger halten es für akzeptabel, wenn jemand „mal einen über den Durst trinkt“. Angesichts der jährlich rund 40.000 Toten und den volkswirtschaftlichen Schäden mutet es seltsam an, dass ausgerechnet diese Substanz einen so hohen Stellenwert in der Gesellschaft besitzt. Rund 1,7 Millionen Deutsche trinken mehr als Leber, Herz oder Hirn vertragen, weitere 1,7 Millionen gelten als klassische Alkoholiker.

Die Lösung für dieses Phänomen liegt auf mehreren Ebenen:
(1) Weingeist und seine Derivate sind über Jahrhunderte ins kollektive Bewusstsein gebrannt worden, die Droge ist voll etabliert. Ganze Institutionen und markante Zeitsteine im Jahresverlauf drehen sich um den Alkoholrausch. Das Oktoberfest, der Fasching, aber auch die „besinnliche Weihnachtszeit“ sind ohne die Unmengen an ausgeschenktem Bier, entkorkten Flaschen und gestürzten Kurzen nicht denkbar. Und: Alkohol ist ein wichtiger Schmierstoff persönlicher und geschäftlicher Beziehungen.
(2) Umsatz und Gewinn der Hersteller stimmen. Alkoholherstellung kann lukrativ sein, die deutschen Weinregionen sind dazu Touristenmagneten. Die Lobby besitzt politischen Einfluss.
(3) Der Droge selbst wohnt wenig revolutionäres Potential inne. Ihre bewusstseinsverändernde, transformatorische Spannkraft ist im Vergleich zu entheogenen Substanzen gering. Simpel gesprochen: Den Mächtigen droht vom Alkohol wenig Umstürzlerisches, auch deshalb wird er nicht verboten.
(4) Alkohol ist gut zu dosieren und für verschiedene Zwecke nutzbar. Niedrig dosiert wirkt er meist kommunikativ, in mittleren Dosen enthemmend, in hohen Dosen lässt er alles vergessen. Zudem ist er gut mit anderen psychoaktiven Substanzen wie Kaffee und Cannabis – um mal nur die harmlosesten zu nennen – mischbar.

Angesichts dieser Vorteile werden die erheblichen Nachteile als Kollateralschäden in Kauf genommen. Nicht nur, aber auch aus diesem Zynismus heraus lässt sich der Schluss erklären, den die Befürworter eines Verbots von Cannabis in die Diskussion führen: Man hat einfach Angst in dieser zur Sucht neigenden Gesellschaft ein weiteres Fass aufzumachen.

Zwei Problemgruppen hat man im Auge. Das sind zum einen die Jugendlichen, die, glaubt man den Zahlen, immer früher mit dem Alkoholkonsum anfangen und auch immer früher den Vollsuff praktizieren. Einige Zeit herrschte Aufregung um die sogenannten Alcopops, im Grunde recht biedere Zucker-Mischgetränke mit viel Alkohol, eine Art hässliche Nachgeburt der Techno-Generation. In Folge eines Alcopopgesetzes reduzierte sich der Konsum bei den unter 18-Jährigen auf 16 Prozent von vormals 28 Prozent im Jahr 2003.

Die Alkoholdealer halten seither dagegen: Kneipen bieten im herrlichsten Neusprech eine Alkohol-“Flatrate“ an, von 20-2 Uhr kann gesoffen werden was geht. „Binge Drinking“ ist Komasaufen, Ziel ist der möglichst schnelle Rausch inklusive Bewusstlosigkeit. Beliebt ist dieser Sport zurzeit in Großbritannien und einigen Ländern Skandinaviens, dort wird der Alkohol nicht nur unter Jüngeren ohnehin gerne zügig konsumiert. Ich erinnere mich an den Besuch einer Feier in Schweden, bei der alle Anwesenden binnen kürzester Zeit extrem betrunken waren, ohne Hemmung torkelten und auf die Straße kotzten.

Nur nebenbei: Seit Jahrzehnten dringt aus den teutonischen Schmieden keine Information über das Saufverhalten der Soldaten nach draußen. Aus guten Grund, denn jeder, der die Ehre hatte in dem Haufen zu dienen, weiß, dass hier der Grundstein für manche Alkoholikerkarriere gelegt wird. Die Anfälligsten bleiben gleich da.

Die andere Problemgruppe sind die stark trinkenden fast-schon oder tatsächlichen Alkoholiker. Alles in allem dümpelt der Pro-Kopf Verbrauch von reinem Alkohol in Deutschland seit über zehn Jahren bei rund 10 Litern jährlich, nur die Verhältnisse zwischen den Sorten verschieben sich. Wichtig bei der ganzen Zahlenspielerei um steigenden oder sinkenden Verbrauch von Bier und Wein ist: Ein Anteil von ungefähr acht Prozent der Bevölkerung konsumiert rund 40 Prozent des verkauften Alkohols.

Suchtvermeidend kann die alte Regel sein, nicht alleine zu trinken. Aber die Umgehungschancen sind groß, man braucht sich nur in den Dorf-und Großstadt-Kneipen umzusehen, in denen Abend für Abend die selben Kapeiken am Tresen hocken, sich gegenseitig die Welt erklären und Freundschaft fürs Leben schließen. Die deutsche Schlagerkultur („Sieben Fässer Wein“, „Einer geht noch“, ) und zahlreiche Alltagsweisheiten („Auf einem Bein kann man nicht stehen“) feuern den Alkoholkonsum noch an.

Es kann als weiterer Hinweis auf die Komplexität der Drogenwirkung im Spannungsfeld von Set und Setting interpretiert werden, dass trotz einem Jahrhundert intensiver Erforschung der Alkoholabhängigkeit die Therapie derselben weiter schwierig bleibt (s. Interview mit dem Suchtforscher Andreas Heinz).

Laaaaangweilig: Geschichtsstunde

Zurück in der Zeit. Der Alkohol schaffte es als Wein und damit „Blut Jesu“ in die christliche Mythologie, in den griechischen Mythen galt Dionysos nicht nur als Gott des Weines, sondern auch der der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Der Alkoholrausch galt als kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit, eine Vorahnung des ewigen Lebens. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit wurden dem Wein magische Kräfte zugesprochen, er wurde als Heilmittel gegen jedwede Wehwechen und ernsthafte Krankheiten eingesetzt. Die therapeutische Breite schien unerschöpflich. Bis in die 80er Jahre des letzten 20. Jahrhunderts hinein erhielt jeder Matrose in der englischen Marine täglich eine Portion Rum (rund 100 ml).

Im Mittelalter gehörte das maßlose Trinken zum Bürgeralltag, wer es sich leisten konnte, der soff. Mit der Rationalisierung des Lebens änderte sich ab dem 16. Jahrhundert auch die Einstellung zum Alkohol, die Obrigkeit setzte vermehrt auf Alkoholverbote, die immer auch im Zusammenhang mit den Luxusverboten standen, wie Kleiderordnungen, Verboten von bestimmtem Schmuck, teuren Kutschen und vergoldeten Möbeln. Religiöse Strenge und Abstinenz bedingen sich bei den christlich geprägten Religionen. Gleichwohl galten gerade die Mönche als Vorreiter des Suffs und der Völlerei.

Die Zwanghaftigkeit, die vom Alkoholismus ausgeht, wurde lange Zeit nicht gesehen, bis ins 18. Jahrhundert hinein galt es als freie Entscheidung des Trunkenboldes sich tagtäglich die Birne dichtzuknallen. In Amerika und Europa wurde der Alkohol im 19. und 20. Jahrhundert zum Sündenbock für alle möglichen schlechten Verhaltensweisen des Menschen. Die Mäßigkeitsbewegung radikalisierte zur Prohibition. In den USA gab es erste Verbote in einigen Bundestaaten bereits in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts. Nahezu alle wurden nach ein paar Jahren widerrufen. 1869 gründete sich dann die „Prohibition Party“ (die bis heute existiert!), es kam zu (heute noch üblichen) seltsamen Bibelauslegungen und schließlich zur berühmten Prohibition von 1919-1933.

Der Alkoholkonsum der Arbeiterklasse ging daraufhin tatsächlich zurück: sie konnten sich den teuren Schwarzmarktschnaps nicht leisten, zugleich tranken der Mittelstand und die Jugendlichen soviel wie nie zuvor; die Mafia entstand. Es war weniger der Aufstand der Massen, als vielmehr ökonomische und juristische Zwänge, die zur Aufhebung der Prohibition im Jahre 1933 führten. Viele Großunternehmen wie Cadillac, General Electric, Boeing und die Southern Pacific Eisenbahngesellschaft glaubten, dass durch die Wiedereinführung der Getränkesteuer ihre Einkommensteuer gesenkt werden könnte. Dazu kam eine um sich greifende Missachtung der Pohibitions-Gesetze, die langsam auf andere Bereiche übergriff. Der Respekt vor dem Recht sank.

Initiation

Will man den Wert einer Droge an den Initiationsriten festmachen zeigt sich in der westlichen Welt ein Phänomen: Die Einführung in den Alkoholrausch besteht meist aus einem dreiphasigen Lall-, Taumel- und Kotzereignis.

Wer dagegen von den guten Seiten des Alkohols sprechen will, der spricht vom Wein. Noch heute trinken in Frankreich die Menschen durchschnittlich sechs Gläser am Tag und leben trotzdem lang; diese Geschichte durchstreift die Weinstuben der deutschen Republik genauso häufig wie die von der niedrigen Herzinfarktquote unter den Franzosen. baccus

Wein, das bedeutet heute eine enorm diversifizierte Kultur, die sich zwischen den beiden Enden Genuss und Sucht entfaltet. Sie variiert vom Tetrapack bis zum Luxusgut. Weinkeller, Dekantierflaschen, Degustation, Weinführer, Weinzeitschriften: Das Brimborium rund um den gegärten Traubensaft könnte als gute Matrize für die Eingliederung des Rauschhanfs und seiner Produkte dienen. Es ist die eingehende Beschäftigung mit der psychoaktiven Substanz, die Liebe zum Objekt, die Kenntnis von Wirkung und Nebenwirkung, das liebevolle Stapeln von Flaschen im Weinregal oder später Weinkeller, die einem Missbrauch der Droge vorbeugt, besser gesagt: vorbeugen kann.

Neben den wichtigen sozialen und individuellen Faktoren steigt die Gefahr in ein Abgleiten in die Abhängigkeit mit der Radikalität der Dareichungsformen und Einnahmetechniken. Sicher, die Dosis macht das Gift und auch gebrannte Schnäpse können ebenso wohldosiert wie Wein werden, dies setzt aber mehr Erfahrung voraus. Die meisten älter werdenden Jugendlichen verstauen das 80 Zentimeter Bong aus gutem Grund irgendwann im Schrank und setzen auf mildere Formen der THC-Aufnahme.

Der Deutsche Brauer Bund weist in einem Gutachten auf die vielen positiven Eigenschaften hin, die der Alkohol hat. Für den Chef des Brauerbundes, Richard Weber, ist Bier ohnehin kein Sucht-, sondern ein Genussmittel. Er sagt: „Wir sind Bierbrauer, keine Drogendealer“. Genau in diesem Punkt irrt er.

Die Bayern pochen seit Jahrhunderten auf ihren Suff, für sie ist der niedliche Gerstensaft in erster Linie ein „Lebens-“ besser noch „Grundnahrungsmittel“. Sie haben es geschafft. Dazu argumentieren die Hersteller mit Zahlen: Man gebe im Jahr rund 562 Millionen Euro an Werbegeldern in Deutschland aus, von den 200.000 Arbeitsplätze mal ganz abgesehen. Es ist dem Druck dieser Lobby zu verdanken, dass bisher keine weitreichenden Verbotsmaßnahmen umgesetzt werden. Aber der Fall des Rauchverbots zeigt: der Alkoholindustrie könnten schwere Zeiten bevorstehen. Eine potentielle Fremdgefährdung in Folge von Alkoholkonsum, gegenüber der die Gefahren des Passivrauchens vergleichsweise harmlos erscheinen, ließe sich hier ob im Straßenverkehr oder durch alkoholbedingte Straftaten problemlos an Hand von Statistiken belegen.

Die vielen Varianten des Alkohols werden derzeit jedoch überwiegend als Nahrungs- und Genussmittel akzeptiert, die heil- oder unheilvolle Wirkungen im Kräftespiel von Dosis, Individuum und sozialem Umfeld entfalten. Dahin sollten es eigentlich auch mehr der anderen und viel diskutierten Drogenzubereitungen schaffen. Denn die Zunahme an Verboten führt immer tiefer in eine repressive Gesellschaftsform hinein; vielleicht werden die Tabaknutzer tatsächlich bald zu den „neuen Junkies“, wie Günther Amendt vermutet. Eine freiere Gesellschaft bräuchte für die vielen Verlockungen die Bereitschaft zur Entwicklung vernünftiger regelmäßig an die aktuellen Umstände angepasster Konsumregeln, die nicht pauschal in Ignoranz gesellschaftlicher Realitäten mit staatlicher Autorität durchgeprügelt werden, sondern ein breites Spektrum im Feld von spirituellen Ritualen wie bei Ayahuasca, über Weindegustationen an der Mosel, schicken Whiskyverkostungen in den Städten bis zu rammelnden Techno-Festen abdecken.

 

 

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Bruno Martin

Hanfblatt, Nr. 109

Langsame und plötzliche Evolution

Jörg Auf dem Hövel & AZ

Interview mit dem Buchautoren und 68er-Veteranen Bruno Martin

Der Zeitgeist ist sich uneinig über die positiven und negativen Anschübe der 68er-Ära. Der Autor und Gurdjieff-Experte Bruno Martin erzählt im Interview über den suchenden Elan der damaligen Zeit, die psychoaktiven Türöffner und die göttliche Evolution.

Geboren 1946 in Karlsruhe wuchs Bruno Martin in einem linksliberalen Elternhaus auf. Nach einer kaufmännischen Ausbildung zog er nach München, wo er 1966-68 Politikwissenschaft studierte und aktiv an der linken Studentenbewegung beteiligt war. Es folgte eine lange Reise nach Indien, später verschlug es ihn nach England, wo er in der „Akademie für lebenslanges Lernen“ des britischen Mathematikers John G. Bennett studierte. Zurück in Deutschland gründete er Mitte der 70er Jahre einen Buchverlag und gab viele Jahre das New-Age-Magazin „Hologramm“ heraus. Obwohl ihn seine Familie mit vier Kindern viel in Anspruch nahm, begann er neben seiner Verlags- und Übersetzertätigkeit eigene Bücher zu schreiben, das bekannteste wurde das „Handbuch der spirituellen Wege“, das er 2005 zu einem „Lexikon der Spiritualität“ weiterentwickelte. Im Herbst erscheint nun im wiederbelebten Sphinx-Verlag sein neuestes Werk „Intelligente Evolution“, in dem er auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zeigt, wie eine schöpferische Kraft die Evolution vorantreibt und das Leben kreativ weiterentwickelt. Er versucht mit vielen spannenden Fakten zu belegen, dass der materialistische Darwinismus als überholt gelten kann.

Frage: Es ist viel über die Zeit der 1960er Jahre, ihre persönliche und gesellschaftliche Wirkung geschrieben worden. Neben den positiven Prozessen bedeutete es für viele eine geistige Transformation, aber auch ein Verheddern, entweder in ideologische oder aber in esoterische Gefilde. Marxismus oder Leary, waren das wirklich Alternativen? Wenn Du den Blick zurück wendest: Welche Strukturen förderten einen konstruktiven Umgang mit den Dynamiken?

Bruno Martin: Es war kein sensitives Feld dafür vorhanden, es war Neuland. Will man die Geschichte von vorne beginnen zu schreiben, muss der theoretische Marxismus erwähnt werden, denn damit fing es bei den meisten an.

Frage: Bitte.

Bruno Martin: Ich war in der Studentenbewegung in München aktiv. Asta-Besetzung, Anti-Springer-Demonstrationen, Druck und Verteilung von Flugblättern. Eine sehr politische Zeit, im Kern anti-religiös, auch ich war aus der Kirche ausgetreten. Von diesem Standpunkt aus informierte ich mich über den Anarchismus und lebte in einer Wohngemeinschaft. Zu dieser Zeit, es war 1969, schneite eine Hippie-Kommune in unsere Wohngemeinschaft rein, der habe ich mich dann angeschlossen, denn das politische Engagement war mir vom Lebensgefühl her ohnehin nicht mehr radikal genug. Der Kommunismus war mir suspekt geworden, die autoritären Strukturen wurden schon sichtbar.

Frage: Das war auch die Zeit, in der du mit psychoaktiven Substanzen in Berührung kamst?

Bruno Martin: Zunächst wurde gekifft. Zu Marcuse, Freud und Wilhelm Reich gesellte sich Carlos Castaneda. So kam es zum langsamen Abwenden vom Allgemeinpolitischen und zum Aufbrechen der persönlichen Strukturen. Es war klar, dass man erst einmal bei sich selber anfangen muss, bevor man die Welt verändert. 1969, in Köln, nahmen wir dann in der Gruppe die ersten LSD-Trips, die verliefen eher anstrengend. LSD war kaum bekannt, erst ab 1969 gingen mehr Menschen auf den Trip. Die Yellow-Sunshine-Trips kamen auf den Markt, sehr rein, 250 Mikrogramm. Nach zwei, drei Trips habe ich die kosmische Dimension entdeckt – oder sie mich. So kam zur politischen und psychologischen Ebene eine spirituelle hinzu.

Frage: Die Suche begann?

Bruno Martin: Sie führte Richtung Indien, ich suchte eine fundierte spirituelle Ausbildung. Von Delhi aus reiste ich sofort auf die Vorgebirge des Himalaja und habe mir dort auf zweieinhalbtausend Metern eine Hütte gemietet. Fünf Mark im Monat hat die gekostet. Dort habe ich meditiert. Ein paar Kilometer entfernt hatte Lama Govinda sein Zentrum, bei mir in der Nähe wohnte im Wald ein alter Einsiedler. Ein Däne, 80 Jahre alt vielleicht, er nannte sich Sunyata. Bei ihm erfuhr ich die Lehre der Advaita-Vedanta – die letztlich sagt, dass die Welt weder existiert noch nicht existiert… Dann las ich „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ von Pjotr D. Ouspensky, das bot eine Art von wissenschaftlicher Spiritualität. Das führte direkt zum Interesse an einer Gurdjieff-Schule.

Frage: Warum kehrtest du nach Deutschland zurück?

Bruno Martin: Wahrscheinlich, weil meine wissenschaftliche Prägung doch zu stark war, die indische Lebensweise wirkte auf Dauer zu schwammig auf mich. In den Lehren von John Bennett, einem Mathematiker und Physiker, der ein Schüler von Gurdjieff war, fand ich eine neue Orientierung. Er hat den Begriff des „lebenslangen Lernens“ in unser Bewusstseinsfeld gebracht.

Frage: Bis dahin war die spontane Erleuchtung verlockender gewesen?

Bruno Martin: Sein Training spielte mit Spontaneität und Struktur. Ein Jahr lang ging ich in England in diese „Schule des Augenblicks“, danach gründete ich eigene Gruppen, um noch mehr zu lernen.

 

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Frage: Welchen Inhalt würdest du dem Begriff der „Naivität“ in diesem Zusammenhang einräumen?

Bruno Martin: Wir waren nicht naiv. Die politische Bewegung hat uns eher intellektualisiert, später kam die Neugierde dazu. Man musste Mut haben, um beispielsweise LSD zu nehmen. Wie Nietzsche sagte: „Man muss Künstler genug sein, um der Wahrheit ins Auge zu sehen.“ Jugendliche heute, die können schon auf einen gewissen Erfahrungsschatz zugreifen. Zugleich ist der Umgang mit der Droge in gewisser Hinsicht heute viel naiver. Da sind wenige, die ein kosmisches Bewusstsein anstreben. Das Empfinden wirkt oberflächlicher.

Frage: Schwer zu sagen. Die junge Generation ist extrem gesättigt von den visuellen und akustischen Arbeiten und Phantasien anderer Menschen. Ego-Shooter, Matrix, MTV. War die Zeit damals nüchterner, vielleicht sogar grauer, so dass der Bruch durch das LSD-Erlebnis viel intensiver war?

Bruno Martin: Sicher. Der Weg nach Innen ist heute viel schwerer. So dienen LSD oder andere Substanzen oft nur als Verstärker der künstlichen Welten.

Frage: Dazu Pappmachezwerge und Schwarzlicht-Konstrukte, der „Film“ ist eigentlich schon fertig.

Bruno Martin: Das zeigt, dass unser Bewusstsein diesen „Film“ selber erschafft und gestaltet. LSD ist nur ein Türöffner, ein Auslöser. Die Absicht ist dann das Entscheidende. Als Beispiel: Walking kann als reine Fitness-Variante oder eben als meditativer Vorgang verstanden und ausgeführt werden. In einem guten Trip verlässt man die Subjektivität und geht in die Objektivität. Dann trennt man nicht mehr zwischen sich und den Dingen, die Ganzheitlichkeit kommt. Aber diese Mystik ist nur schwer in Worte zu fassen.

Frage: Erlebnisse von Einheit mit Allem sind immer wieder beschrieben worden, meist in Zusammenhang mit Meditation.

Bruno Martin: Als die spirituellen Wege entstanden, waren und blieben sie auch die Ausnahmen. Die Leute sind in die Einsamkeit, später ins Kloster gegangen. Askese, Fasten, Singen, Beten, Arbeiten. Es war ist ein langer, fruchtbarer Weg bis zur Schau der Ganzheit. Damit dieser Weg nicht austrocknet, kann es aus meiner Sicht durchaus gut sein, ihn ab und zu aufzufrischen.

Frage: Wie?

Bruno Martin: Eben auch mit psychoaktiven Substanzen. Wer beispielsweise zehn Jahre lang einen buddhistischen Weg gegangen ist, dem kann ein LSD-Trip eine neue Perspektive geben, die natürlich eine alte ist. Es können dann Dinge geschehen, die man bis dahin nur kurz erheischt hat. Danach weiß man wieder, wohin es geht und warum man überhaupt an sich arbeitet. Klar, wer sich in diesem Zusammenhang nur auf Drogen verlässt, dem geht die Stabilität des Wesens ab, denn die ist nur durch Jahre währende Praxis erreichbar. Ich würde schon unterscheiden wollen zwischen dem Aufwachen und der momentanen Erleuchtung und dem dauerhaften Seinszustand. Ich habe nach den einschneidenden 68er Erfahrungen lange keine Entheogene mehr genommen und Energiearbeit, Bewegungsübungen und Meditation praktiziert. Als ich dann Mitte der 90er wieder auf einen Pilz-Trip ging war die Erfahrung eine andere: Viel stabiler, es hatte eine zusätzliche Qualität und Tiefe, die ich früher nur ahnte. Ich sah die Welt wie sie ist, im Sinne von William Blake.

Frage: Als Gefahr für die Psyche hast du das nie empfunden.

Bruno Martin: Nein. Sicher gibt es die, es fehlt an der Kultur und dem Wissen. Die Leute müssen verrückt sein, bei einer Party zehn Ecstasy-Pillen zu schlucken oder literweise Alkohol zu trinken. Davon wird man nicht schlauer, nur krank. Im Grunde müsste man Kurse anbieten, in denen man lernt, wie man mit psychoaktiven Substanzen umgehen kann. Die müssten von Leuten gegeben werden, die Erfahrungen damit haben – und die gibt es ja. Das wäre sinnvoller als das momentane Verbot und der Verlust der spirituellen Dimension. Aber die ist vielleicht gar nicht gewünscht.

Frage: Ein Hauch von Magie muss meist ausreichen, eine sanfte Überwältigung.

Bruno Martin: Ich meinte eher politisch nicht erwünscht. Die Integration der 68er Zeit ist ja weitgehend vollzogen, nur die drogenpolitischen und spirituellen Dimensionen will man nicht angehen.

Frage: Ein Fahrplan für die psychedelische Erfahrung war ab den 60er Jahren das „Tibetanische Totenbuch“, eine von Timothy Leary und anderen herausgegebene Neuformulierung eines ursprünglich aus dem 8. Jahrhundert stammenden Werkes. Darin wird der Prozess des Sterbens und der Wiedergeburt sowie die Möglichkeit, aus diesem Kreislauf auszubrechen, auf den LSD-Trip angewandt. Ist das in der Rückschau nicht eine enorm suggestive Beeinflussung, die so manchen Trip in seltsame Bahnen geleitet hat?

Bruno Martin: Ich habe das Buch damals übersetzt und das nie so empfunden. Die Bardos, diese Zwischenzustände zwischen zwei Leben, habe ich nie als Todeserfahrungen interpretiert, sondern als Stufen der inneren Erfahrung auf dem Weg zum Licht. Starke Bilder von Türwächtern, wie dem Gott der Weisheit, der seine Zähne fletscht und dich zunächst abschreckt. Diese Illusionen können abgelegt werden, dann kommt man in die interessanten Dimensionen der Erleuchtungserlebnisse.

Frage: Das ist für jemanden, der bereits eine psychedelische Erfahrung gemacht hat, vielleicht ein probates Mittel. Für jemanden ohne Ahnung ist dieser fremde Film doch eher einschränkend, vielleicht sogar anstrengend.

Bruno Martin: Es geht um die grundsätzliche Erfahrung auf einem Trip, die oft mit verschiedenen Geistwesen beziehungsweise psychischen Zuständen einhergeht. Wenn ich nun durch ein Buch weiß, weshalb diese erscheinen, dann ist mir schon geholfen. Man tastet sich von einer Illusion zur nächsten, wenn man Glück hat, bis alle Täuschungen aufgelöst sind. Nebenbei bemerkt koche ich mein Essen auch nicht nach Rezept. Aber in einer Zeit, in der noch kaum ein Bewusstseinsfeld existierte, war das „Bardo Thödol“ in der Fassung von Leary eine der wenigen Möglichkeiten, geleitet durch einen Trip zu gehen. Nach den Lehren der tibetischen Lamas löst sich der Körper schrittweise auf, so dass mit dem Zerfall der äußeren Wirklichkeit im Augenblick des Todes der wahre, leuchtende Geist erfahren wird.

Frage: Wie muss man sich ein Bewusstseinsfeld vorstellen?

Bruno Martin: Wir leben in verschiedenen Feldern. Auf der kleinsten Ebene existieren Quantenfelder, also schwingende Einheiten, die Materie und Energie zugleich sind, zudem unbestimmt in ihrem Ort. Aus ihnen bilden sich Atome und das, was wir als feste Materie wahrnehmen. Auf der nächsten Ebene existiert die Biosphäre, mit allen Pflanzen und Tieren. Auch die Atmosphäre kann als Feld bezeichnet werden. Über die Luft sind wir mit allen anderen Lebewesen verbunden. Es wird uns erst langsam klar, wie eng wir mit diesen ganzen Feldern verwoben und wie abhängig wir von ihnen sind. Wenn ich ein paar Minuten nicht atme, bin ich tot. Das Bewusstseinsfeld ist nun das Feld, in dem die sensitiven und bewussten Informationen, die von uns erlebt werden, existieren und gespeichert werden. Es gibt den Begriff der Meme, also die Vorstellung von der Übertragung von Ideen nach einem Prinzip ähnlich wie bei den Genen. Die Meme nutzen das Bewusstseinsfeld, um sich zu verbreiten. Momentan haben die ideologischen Meme wohl die Oberhand gewonnen.

Frage: Das Bewusstseinsfeld ist immateriell?

Bruno Martin: Da kommen wir auf den Punkt. Das elektromagnetische Feld der Quantenphysik ist auch kein materielles Feld und gleichwohl real. Dieses Energiefeld wird zusammengehalten und verknüpft durch Information, also Geist. Das Bewusstseinsfeld liegt nicht außerhalb der Naturgesetze, sondern ist – wie alles – eng mit den anderen Feldern verwoben. Die wenigsten können sich vorstellen, dass es so etwas wie feste Materie im Grunde gar nicht gibt. Nun, mit etwas Trip-Erfahrung kann man sich das vorstellen.

Frage: Und Spiritualität ist die Praxis der Modifikation des Bewusstseinsfelds?

Bruno Martin: Ja, spirituelle Arbeit besteht darin, das eigene, schwingende Energiefeld homogen zu machen. Dies ist ein individueller Vorgang, denn jeder arbeitet spezifische Qualitäten in seinem Leben aus. Es ist durchaus möglich, dass dieses Energiefeld vom eigenen Bewusstsein zusammengehalten wird und mit dem größeren Bewusstseinsfeld zusammenwirkt, so wie die Luft auch immer wieder ausgetauscht wird. Vielleicht wird auch die Information ausgetauscht, so dass Leute Reinkarnationserlebnisse haben. Man darf das nicht zu persönlich sehen.

Frage: Welche Rolle spielt die Evolution in diesem Kontext?

Bruno Martin: Die Natur ist enorm komplex aufgebaut und jedes kleinste Insekt spielt eine Rolle in der Biosphäre. Das Ganze muss sich irgendwie selbst organisieren. Da kommt die Intelligenz ins Spiel: denn Selbstorganisation geht nicht automatisch. Es sind einfach zu viele Variablen im Spiel. Diese Intelligenz ist aber nicht von Anfang an allwissend, sondern ist mit der Evolution gewachsen, genauso wie wir dazu lernen, wenn wir älter werden. Schon in den ersten Quantenfeldern existierte eine kreative Triebkraft voller Experimentierlust, die sich in Richtung der Erschaffung von Leben entwickelt hat. Der Begriff der „intelligenten Evolution“ drückt das gut aus. Wenn wir genauer hinschauen sehen wir, dass komplexe Dinge nicht rein mechanistisch aus einfachen Bauteilen entstehen können. Es ist mir nicht weiß zu machen, dass beispielsweise einfache Bakterien sich irgendwann zufällig zu neuen Zellen mit Zellkernen entwickeln, in denen ein ausgeklügelter genetischer Code mit 3 Milliarden Buchstaben auf Nano-Ebene enthalten ist, und dieser Prozess dann nach Milliarden von Jahren bei Säugetier-Zellverbänden und den 50-100 Billionen Zellen des Menschen endet. Da wurde viel kreativer Schweiß vergossen.

Frage: Das Zusammenspiel ist aus deiner Sicht zu komplex, um nur auf Zufall, Anpassung, Mutation und Notwendigkeit zu basieren?

Bruno Martin: Der Darwinismus ist heute schon wieder zur Religion geworden. Keiner traut sich, auszutreten. Die meisten Ergebnisse aus den verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten werden nur selten interdisziplinär zusammengetragen. Jede Fachrichtung produziert nur winzige Bausteine. Doch keiner der Wissenschaftler spielt mehr Lego damit. Ich habe in meinem Buch versucht, die Legosteine zu einem Hundertwasser-Haus zusammenzusetzen.

Frage: Und das Ergebnis?

Bruno Martin: Das Ergebnis ist: Die Dinge sind so eng miteinander verknüpft, dass mechanistisch-materialistische Erklärungsmuster zu eindimensional sind, wenn man verstehen will, wie Evolution funktioniert. Das Ausmaß des Zusammenspiels ist so groß, dass diese Ordnung ohne eine systemimmanente Intelligenz nicht vorstellbar ist. Das geben inzwischen auch Genforscher zu, die sagen, dass unser Genom ein hochkomplexes, verwobenes Netzwerk ist, das nicht mechanistisch erklärt werden kann. Die genauen Informationsübertragungswege dieser Intelligenz sind noch nicht bekannt. Aber so viel steht aus meiner Sicht fest: Da sitzt kein alter Herr mit einem weißen Bart und einem Kamm in der Jackentasche und steuert das Ganze; der Verlauf ist nicht determiniert.

Frage: Wie hängen nun Evolution und Bewusstseinsfeld zusammen?

Bruno Martin: Evolution ist meiner Meinung nach ein großes Experiment. Alle späteren Lebensformen haben von den vorherigen etwas Neues gelernt. Nun sind wir an einem Punkt angelangt, in dem wir Menschen unsere eigene innere Entwicklung in die Hand nehmen müssen und auch können. Die Intelligenz in der Evolution hat sich vielleicht deshalb im Menschen verkörpert, um ihre wunderbare Schöpfung selbst sehen zu können. Das ist auch eine der Lehren aus den 60er Jahren: Das menschliche Bewusstsein kann sich weiter entwickeln. Es reicht nicht aus, sich bequeme äußerliche Umstände zu schaffen, in der die Maschinen alle Arbeit übernehmen und immer mehr Müll produzieren. Aber diese Bewusstseinsentwicklung ist kein automatischer Vorgang, sondern es existieren nur Anlagen und Möglichkeiten. Wenn wir mit diesen Potenzialen nichts Vernünftiges anstellen und nur Unterhaltungselektronik produzieren, dann geht die Menschheit unter. Vielleicht hilft der Klimaschock ja.

Frage: Was ist der nächste Schritt?

Bruno Martin: Die Bildung von intelligenten Netzwerken auf Bewusstseinsebene. Das Internet ist ein Vorläufer davon und ein gutes Beispiel für die positive Kraft, die ein Netzwerk entfalten kann. Man muss andererseits aber auch in der Lage sein, sich zurück zu ziehen und sich der ständigen Verdrahtung zu verschließen. Der Mensch darf nicht zum Zwischenstück zwischen elektronischen Maschinen und Spielzeugen werden. Ich will keinen Chip im Gehirn.

Frage: Bleibt die Frage nach dem Sinn.

Bruno Martin: Ich sehe wenig Sinn in der Jenseits-Dimension, keiner weiß, was nach dem Tod kommt. Ich bin mir jedoch sicher, dass meine individuelle Entfaltung, meine eigene Melodie, die ich während des Lebens komponiert habe, im Bewusstseinsfeld erhalten bleibt, und ich so möglicherweise auch allen anderen Lebewesen nützen kann, weil die so auf Informationen der vorherigen Generationen zurückgreifen können. Und zugleich wird das persönliche Leben auch intensiver und tiefer. Ich möchte schlauer gehen, als ich gekommen bin. Es ist einfach auch eine spannende Forschungsreise, wenn wir selbst nach dem Sinn suchen. Und der entfaltet sich mit der Suche. Vielleicht entdecken wir, dass wir selbst der Sinn sind.

Literatur:
Bruno Martin
Intelligente Evolution
München 2007
Hugendubel/Spinx
Erscheinungsdatum: 9/2007
Hardcover 384 Seiten
ISBN: 3-7205-9003-8
Preis: 22,00 EUR