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Interview mit Joseph R. Pietri dem König von Nepal

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Ein Interview mit dem Haschischschmuggler Joseph R. Pietri

Der 1947 geborene Amerikaner Joseph R. Pietri verdiente sich in den 60er Jahren als Hippie in New York durch den Handel mit Haschisch und Pot seinen Lebensunterhalt. Schliesslich entschied er sich 1970 direkt an die Quellen des besten Haschisch der Welt zu gehen und selbst Schmuggler zu werden. Er landete in Nepal, wo zu diesem Zeitpunkt Cannabisprodukte noch völlig legal waren und stieg dort groß ins Geschäft ein. Bereits seit Jahren verfolgt von den US-Behörden wagte er es schließlich 1991, sich als einer der ersten Westler kurz nach der Öffnung des kommunistisch regierten Laos in dessen Hauptstadt Vientiane niederzulassen und dort die erste Bar nach amerikanischem Vorbild zu eröffnen. Obwohl zum damaligen Zeitpunkt in Laos Ganja ganz legal auf den Märkten erworben werden konnte und kein Auslieferungsübereinkommen mit den USA bestand, wurde Pietri auf Druck der US-Behörden in Auslieferungshaft genommen. Seine langjährigen Erfahrungen als bedeutender Cannabisschmuggler und -feinschmecker brachte er dort ohne unnötiges Bedauern zu Papier und hat sie dann neun Jahre später im Jahre 2001, nachdem praktisch etwas Gras über die Sache gewachsen war, unter dem Titel „The King of Nepal“ veröffentlicht. Dieses aufregende Werk ist ein wahrer Leckerbissen und nicht weniger spannend als die abenteuerliche Autobiographie von „Mister Nice“ Howard Marks. Heute lebt Pietri in Colorado/USA und hat es tatsächlich geschafft, dass er auf Grund eines durch Nierenkrankheit bedingten Nervenschadens und Hepatitis C als Medizinischer Marihuana Patient mit offizieller Erlaubnis der Gesundheitsbehörde sein eigenes Gras anbauen darf!

az: Wer ist „Der König von Nepal“?

Pietri: Ich habe in Nepal das Leben eines Hippie-Königs gelebt. Der Titel repräsentiert auch die Königliche Familie von Nepal. Aber der wahre König von Nepal ist das legendäre Haschisch, das dort gewonnen wird. Ein alter Freund von mir, Rod Fry, brachte Mitte der Siebziger Jahre den Nepalis bei, wie man Haschisch nach der afghanischen Methode (mittels Siebung) herstellt, was eine enorme Verbesserung gegenüber handgeriebenem Haschisch bedeutet. Auf Grund meiner Verbindung zu seiner Heiligkeit dem Chine Lama und dessen Verbindungen zu König Mahendra war ich in Nepal praktisch unantastbar. Zeitweise arbeiteten die Polizei und das Militär für mich.

Joseph R. Pietri

az: In deinem Leben als Dealer und Schmuggler hast du alle möglichen Gras- und Haschischsorten genossen. Ein populärer Mythos behauptet, dass das Homegrown Sensemilla von heute stärker sei als die Importvarietäten der alten Hippiezeiten. Was entgegnest du darauf?

Pietri: Das Homegrown Sensemilla von heute ist nicht stärker als das Homegrown Sensemilla der 60er. Die Super Sativa Sorten, die aus Mexiko (in die USA) kamen, wie „Acapulco Gold“ und „Michoacan“ waren fantastisch. Ich hatte einen Kumpel, der flog sein Sensemilla, das er auf seiner Finca in Mexiko anbaute, verpackt in Styropor ein, jeder Blütenstand so groß wie ein Glied deines kleinen Fingers. Einer war wie „black frog´s lip“ und ein anderer „burnt orange“. Aber wirklich beherrschte in jenen Tagen Haschisch den Markt, genauso wie es das in Europa in den 60ern und 70ern tat. Es ist erst in den letzten 20 Jahren geschehen, das die Szene in Europa zu Gras gewechselt hat, und es war dasselbe in den Staaten. In den alten Zeiten hatte ich manchmal zwei Dutzend verschiedene Sorten Haschisch. Es ist ein Witz, das irgendjemand glauben könnte, dass das Dope von heute stärker ist als das in früheren Jahren. Aber die Regierungspropaganda marschiert weiter. Nebenbei bemerkt, die Super Sativa Sorten aus Mexiko wurden von Nixon zerstört, als er die Marijuana-Pflanzungen 1973 mit „Paraquat“ (einem Pflanzenvernichtungsmittel) besprühen ließ. Für ungefähr 10 Jahre konnte man wegen der Sprühungen kein mexikanisches Gras abgeben. Dafür begann zur selben Zeit kolumbianisches Weed den Markt zu übernehmen. Niemand wird vergessen, wie es war, als er das erste mal „Columbian Gold“ oder „Red Super Sativas“ geraucht hat. Zuletzt sollten wir nicht die ganzen super Thai-Sorten vergessen, die in den 70ern und 80ern reinkamen. Einige waren so stark, dass ein einziger fetter Joint dreissig Leute high machen konnte. Du brauchtest nur einen Zug. Erinnert sich irgendjemand da draussen an das unter Stickstoff vakuumverpackte Thaigras, das einen Doppeladler auf die 1000g-Packungen gestempelt hatte?

az: Kein erfahrener Langzeitraucher vergisst das beste Dope, das er mal geraucht hat. Kannst du deine Favoriten nennen, nur um die Münder des Publikums mal ein wenig wässerig zu machen? Pietri: Ich mochte besonders gern den „Roten Libanesen“, der in 6-Unzen-Säcken kam. Die hatten Kirschen oder ein Bild von King-Kong oder Kamele in der Wüste draufgestempelt. Der richtig schön klebrige Rote kam in kleinen Säckchen. Ich mochte sehr gern das rote und goldene Gras aus Laos, Super Sativas, die es bis zum heutigen Tag gibt, auf dem Markt in Vientiane neben den Tabakständen erhältlich. Aber mein Favorit für alle Zeiten ist Nepalese oder Kashmiri-Hasch, hergestellt auf afghanische Art. Ich bin immer noch ein Hasch-Man. Ihr könnt mir jederzeit ein Piece Afghanen geben. Aber leider muss ich mir heutzutage meinen Eigenen machen!

az: Ein anderer Mythos besagt, das besonders starkes oder einschläferndes Haschisch mit Opium versetzt wurde. Was hat es damit auf sich?

Pietri: Es ist ein Mythos, dass das Weiße, was man auf handgepresstem Haschisch sehen kann ein Zeichen für Opiat ist. Tatsächlich ist es Schimmel von der Feuchtigkeit der Pflanze, wenn man sie mit der Hand reibt. Normalerweise ist Haschisch nicht mit Opium verfälscht. Das einzige wirklich mit Opium versetzte Haschisch, das ich jemals gesehen habe, war einmal, als ich 40 Kilo hatte, die eine Zeit lang herumgelegen hatten. Ich mischte es mit 10 Kilo Opium, und es kam drüben in Cincinnati groß raus. Manchmal mixen sie in Bombay Opium in das Hasch und Gott weiß, was sonst noch. Sie nennen sie „Gullies“, kleine schwarze Bälle, 20 in einer Packung. Man kann sein Haschisch speziell mit Opium gemischt bestellen, aber das ist selten. Opium ist kostspieliger als Haschisch, das ist ein Grund.

az: Warum hast du dich 1970 entschieden nach Nepal zu reisen und selbst ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich war auf der Flucht und Nepal schien ein guter Platz zu sein um abzutauchen. Mehr oder weniger durch Zufall landete ich dort. Ich ging dort hin, um einen Deal zu machen und blieb. Es war Hippie-Nirvana, Kathmandu, keine Gewalt, kein Verbrechen. Alles was du als deine Medizin bezeichnet hast, war legal. Es war immer mein Pfeifentraum, einmal die Haschhöhlen von Asien zu besuchen. Tatsache ist, dass ich ein sehr lukratives Ding am laufen hatte und es bis zum Ende ausgespielt habe.

az: Wie waren die Bedingungen, die du damals in Nepal vorgefunden hast?

Pietri: Nepal war Hippie-Nirvana. Ich lebte in Boudha in einem der Häuser des Chine Lamas. In jenen Tagen lebten auch die dänischen Schmuggler in Boudha. Die meisten meiner Freunde damals waren Europäer. Ich wurde eine Industrie in Boudha und eine Menge Leute hingen von mir ab um Geld zu machen. Ich unterstützte soviele Leute dort, dass ich nach einer Weile das Gefühl hatte, ich würde für sie arbeiten. Ich hatte Privilegien, die ich niemals zuvor erfahren hatte. Ich saß zu Füßen des Groß-Lamas von Boudha, und durch ihn traf ich den König von Mustang, alle der höchsten Lamas, die aus Tibet entkommen waren. Irish Patrick, der sich durch die Jahre als großartiger Freund erwies, traf ich in Boudha, genauso wie Afghan Ted, manchmal auch Ted the Hun genannt. Detlef Schmidt war ein großer Freund. Wer könnte jemals Ted the Hun vergessen, wie er in seinem Mercedes-Krankenwagen nach Boudha reindonnerte mit seinen afghanischen Kampfhunden und seinem Harem und dem besten handgepressten Afghanen, den du jemals gesehen hast. Einmal hatte ich eine Barbecue-Party, auf der die Dänen ein Wildschwein rösteten, und ich röstete meine Interpol-Akte, die ich der Einwanderungsbehörde abgekauft hatte. Was für eine Party.

az: Und wie kam es in Nepal zu einem Ende?

Pietri: In der Mitte der 80er gab es eine Art Inquisition. Als ich 1981 nach Nepal zurückkehrte, benutzte ich meine wirkliche Identität, was die Nepalesen richtig verwirrte. Ich war immer noch Will, und wenn du nach Joe fragtest, wusste niemand von wem du sprachst. Ich glaube es war 1986 als Henry Kissinger nach Nepal kam. Sie kauften zwei Kilo reines Heroin auf der Straße und konfrontierten den Generalinspektor der Polizei (IGP) damit. Sie drohten alle fremden Hilfen abzuschneiden, wenn nicht der Heroinhandel aus Nepal unterbunden würde. Um Kissinger zu beschwichtigen ließ der IGP jeden Langzeitbewohner Kathmandus ausländischer Herkunft verhaften. Überfallkommandos mit Drogenspürhunden durchsuchten Wohnungen. Über Nacht kamen 200 Westler in den Knast und viele Nepalesen. Die Nepalesen wurden gefoltert, und auf die Frage, wer der größte amerikanische Dealer sei, gaben sie mich preis und schließlich fanden sie heraus, dass Joe Will war. Ich war Nummer Eins auf ihrer Liste derer, die aus dem Geschäft in Nepal rausgeschmissen werden sollten. Einige Leute entkamen der Inquisition und schafften es bis nach Bangkok. Ich auch. 1988 ging ich zurück, musste aber im Untergrund leben, weil es Haftbefehle auf mich gab. Ich blieb zwei Wochen, gelangte wieder zurück nach Bangkok und bin seitdem nicht mehr dortgewesen.

az: Was sind die größten Risiken, auf die du bei deinen Schmuggeloperationen getroffen bist?

Howard Marks und Jospeh R. Pietri
Howard Marks und Jospeh R. Pietri

Pietri: Ich hab mein Bestes versucht, keine Risiken einzugehen. Ich war immer im Hintergrund. Die größte Gefahr war, verraten zu werden. Ich erinnere den Moment als wir im Büro des Generalinspektors der Polizei in Srinagar Kashmir waren. Er befragte meinen Freund und mich über unser Geschäft. Wir hatten diesen riesigen Mercedesbus, der in Geheimfächern mit Haschisch gefüllt war. Wir erklärten, dass wir den Bus benutzen würden um Touristen aus Bombay hochzubringen. In diesem Moment zieht er ein paar Kilo Haschisch aus seiner Schublade und sagt uns, wir seien im falschen Geschäft und dass wir für ihn arbeiten und sein Haschisch zu seinen Verbündeten nach Bombay bringen sollten. Wir erzählten ihm, dass es zu gefährlich sei und wir zu ängstlich sein würden. In dieser Nacht bewachte die Polizei einen schon vollgeladenen Wagen. Das war ziemlich haarig.

az: Ist es das Aufregende am Schmuggeln oder nur das Geld oder die fehlenden Alternativen, die dich für so viele Jahre im Geschäft gehalten haben? Was ist das Geheimnis der Schmuggelerfahrung?

Pietri: Ich wurde abhängig von dem Geld und dem Lebensstil. Der Thrill ein Ding erfolgreich durchzuziehen ist einer der größten Thrills. Damit durchzukommen. Ich flog rein und raus aus Asien, manchmal zweimal im Monat. Das Dope-Geschäft war eines der ehrlichsten Geschäfte in denen ich jemals war. Da war Ehre und Stolz auf dein Dope und darauf es auf den Markt zu bringen. In den Staaten lief das Marihuana-Business auf Vertrauensbasis und einem Händeschütteln. Ich bekam Tonnen über Tonnen von Marihuana noch vor Bezahlung und verlor nie einen Joint. Es war ein fantastisches Geschäft solange es lief, aber 1990 hatte die DEA das Good Old Boy Marijuana-Netzwerk, das seit den 60ern operierte, ausgeschaltet. Heute ist es eine ganz andere Szene. Wir waren Gegenkulturhelden, die gegen die Blockade anliefen und die Cannabiskultur schufen, die ihr heute habt.

az: Du hast dein Leben in vollen Zügen genossen. Du hast ein Abenteuer gelebt für deine wahrscheinlich hochgradig faszinierten Leser. Würdest du jemandem einen Ratschlag geben, der dir gerne heute im Jahre 2003 in deinen Fußstapfen folgen würde um ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich würde niemandem raten heute in das Haschischschmuggel-Geschäft einzusteigen. Es ist zu gefährlich. Meine Empfehlung ist es, sein eigenes Gras anzubauen und sich sein Haschisch zu Hause zu machen. Das ist es, was ich tue. Ich habe einen von Mila´s Pollinatoren mit dem ich mein eigenes Hasch mache. Ich lass meine Freunde meinen Pollinator benutzen und sie lassen mir immer was zukommen, so rechnet es sich selbst. Ich hab ein bißchen großartiges Hasch aus einer Kreuzung Burmese/Fucking Incredible und aus einer Jack Herer gemacht. Ich bevorzuge den Pollinator gegenüber den Bubble Bags, weil er der afghanischen Tradition näher steht und nicht so umständlich ist. Die ganze Wasser- und Eiswürfel-Methode ist mir zu aufwendig. Wie kann man besser die Qualität kontrollieren, als wenn man selbst anbaut?!

az: Heute bist du auf einem anderen Level als in den alten Tagen aktiv im Kampf gegen den verrückten „Krieg gegen Drogen“. Was sind deine jüngsten Projekte? Wo können wir mehr von deinen Einsichten und Ansichten finden?

Pietri: Letzte Woche wurde ich von Kevin Booth von Sacred Arts Productions in Austin/Texas gefilmt. Er macht eine Drug War-Dokumentation, die 2004 im TV und auf DVD erscheinen wird. Ich wurde kürzlich auf Blackopradio.com interviewed. Ich hab außerdem eine Show auf Pot-tv.net gemacht mit dem Titel „Joe Pietri versus The not so free world“. Man kann meine Website (www.kingofnepal.net) besuchen. Da kann man auch mein Buch bestellen. Es kostet 27 USD via Paypal, und ich versende eine signierte Erstausgabe. Man kann mich auch über E-mail (jpietri@msn.com) erreichen, wenn man das Buch bestellen möchte. Aber ich möchte zum Abschluss nochmal ein klares Bild davon geben, was der „War on Drugs“ wirklich ist. Der Drogenkrieg ist ein rassistischer Krieg. Nach der Bürgerrechtsbewegung in 1965 und dem Wählerregistrierungs-Gesetz, demzufolge schwarze Menschen erstmals wählen durften, musste die herrschende Klasse dieses Landes mit etwas aufkommen, um bestimmten Teilen unserer Gesellschaft weiterhin Bürgerrechte zu entziehen. Nixon quält die Cannabiskultur immer noch von seinem Grab aus. Angenommen du wirst zum ersten mal gebustet, verlierst du all deine Besitztümer, gehst ins Gefängnis, wo du Sklavenarbeit verrichtest, wirst entlassen, bist ein Verbrecher und es ist hart einen Job zu finden. In manchen Fällen verlierst du das Recht zu wählen, eine Waffe zu tragen etc. etc.. Es ist eine WinWin-Situation für die Regierung. Man darf nicht vergessen, dass jede Region, in der harte Drogen gewonnen werden, von der CIA geschaffen wurde. Das erfolgreichste Drogenkartell aller Zeiten. Sie schufen das Goldene Dreieck, den Goldenen Halbmond, das Medellin-Kartell. Selbst heute schützen sie die Opiumfelder in Afghanistan, die praktisch das gesamte Heroin für Europa liefern. Der Hauptgrund für eine Drogenlegalisierung ist es, endlich die CIA aus dem Drogengeschäft zu kriegen. Die Realität ist, dass die CIA für jede Person in dieser Welt verantwortlich ist, die von Heroin oder Cocain abhängig ist. Die Wahrheit ist, dass die US-Regierung ihre eigenen Leute einsperrt für Drogen, die sie selbst liefert. Sie haben den Drogenhandel lange genug benutzt, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Hier in Colorado ist Marijuana seit 1917 illegal. Zu dieser Zeit kontrollierte der Ku Klux Klan den Bundesstaat. Sie kamen ganz offen raus und sagten, wir wollen nicht, dass braunhäutige Spics und dicklippige Nigger Boden besitzen. Sie bemerkten, dass farbige Menschen Marijuana als Rauschmittel benutzten, und so kriminalisierten sie den Marijuana-Gebrauch um Mexikaner zu deportieren und Schwarze zu entrechten. Es ist dasselbe, was heute passiert. Der Drogenkrieg in den Staaten ist eine riesige Geldmachmaschine und der Preis des Ganzen ist, dass 20 % der Bevölkerung der USA zu Verbrechern gemacht werden. Über 50 Millionen Menschen haben seit 1971 ihre Rechte verloren. Jedesmal wenn sie einen Stoner abstrafen, ist es ein fauler doperauchender Commie weniger, der sie beunruhigen könnte. Das ist die Mentalität. Peace and Pot.

az: Piece and Peace.

Das Buch: Joseph R. Pietri „The King of Nepal.
high adventure hashish smuggling through the kingdom of Nepal.“
138 Seiten, Softcover
Publication Services by Indiana Creative Arts
5814 Beechwood Avenue Indianapolis, IN 46219 USA
ISBN 0-615-11928-X
19.95 USD

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Elektronische Kultur

RFID in der Warenwelt

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 19.10.2004

Die funkenden Etiketten

Vollkommene Kontrolle über ein Produkt: Handel und Logistik prüfen den Einsatz von RFID-Chips

Der Barcode ist in die Jahre gekommen. Statt Warenmerkmale über einen Scanner einzulesen, sollen künftig die Informationen auf modernere Weise übertragen werden. Dazu werden an Gebinden oder einzelnen Gütern RFID-Chips (Radio Frequency Identification) angebracht, deren Daten von Antennen gelesen werden. Großhandel und Logistikunternehmen testen zur Zeit den Einsatz dieser oft nur wenige Millimeter großen Transistoren. Noch herrscht Skepsis, denn die Kosten für das Implementieren in den Produktionsablauf oder gar in die gesamte Warenkette sind enorm, fehlende Standards erhöhen das Risiko.

In RFID-Centern indes zeigt die IT-Branche den Großkunden die Potentiale der Transponder-Technik auf. Steht die Handelsgüterindustrie vor dem Umbruch? Eines dieser Praxis-Labors betreiben die Chiphersteller Intel und Siemens in Feldkirchen bei München. Um die Praxistauglichkeit der Transponder zu überprüfen, bringen einige der in Frage kommenden Kunden ihre zu etikettierenden Produkte gleich mit ins Labor. „Für uns ein Glücksfall“, sagt Christian Schmidt, Manager für strategische Kundenbeziehungen bei Intel. Aus einem mit Transformatoren enggepackten Karton zieht Schmidt einen der länglichen Spannungswandler heraus. „Wenn wir da einfach nur ein RFID-Tag draufkleben würden, könnte das keine Leseeinheit erkennen.“ Metalle und auch Flüssigkeiten schirmen die Signale ab, es kommt zu Fehlerkennungen. Das Labor zielt auf Großkunden, die entweder ihren internen Produktionsablauf oder mit anderen Unternehmen zusammen eine gesamte Warenkette auf RFID umstellen wollen. Bei den Kunden herrscht Sorge darüber, den Anschluß zu verlieren, Sorge aber auch, daß die Kosten den Nutzen übersteigen. Genaue Angaben darüber, was RFID im Betrieb kostet, sind schwer zu treffen. Den schnellsten „Return of Investment“ erhofft sich der Handel, schließlich sucht er die Kosten für die Smart Labels und die damit verbundene Infrastruktur auf Lieferanten und die produzierende Industrie abzuwälzen. Die Handelsgiganten Wal-Mart und Metro haben ihre wichtigsten Zulieferer schon jetzt verpflichtet, bis 2005 ihre Ware mit Funketiketten auszustatten.rfid chip

Lagerengpässe sollen dann der Vergangenheit angehören, Möglichkeiten der Rückverfolgung, Diebstahlsicherung und Bestandsoptimierung zählen zu den weiteren Vorteilen von RFID. Stecken die Waren in großen Gebinden oder Containern, lohnte bisher die Zerlegung der Ladung nicht, Schwund wurde in Kauf genommen. Fährt dagegen eine Palette mit RFID-Transpondern durch eine Antennenschleuse, soll binnen Sekunden jedes Produkt registriert werden. So die Theorie, in der Praxis hapert es meist noch mit der schnellen und sicheren Erkennung der sogenannten Tags. Die in Europa üblichen Chips funken auf einer Frequenz von 13,56 Megahertz, die dazugehörigen Hand-Lesegeräte können Signale aus maximal 20 Zentimetern empfangen. „Stationäre Antennen kommen auf 60 Zentimeter, und erst die großen, heute nur an Lagereingängen eingesetzten Gate-Antennen erfassen RFID-Etiketten in bis zu 2 Meter Entfernung“, erklärt Gerd vom Bögel vom Fraunhofer-Institut. Sind die Transponder aber von Metall umgeben, dringen die Signale nicht bis zur Antenne durch. Auch Flüssigkeiten bremsen die Übertragung. „Dazu kommt“, ergänzt vom Bögel, „daß zwei Transponder nicht genau aufeinanderliegen dürfen, denn dann kommt es zu Funkkollisionen.“

Im Gegensatz zum Bar- oder auch Strichcode, bei dem eine ganze Serie von Produkten den gleichen Code aufgeklebt bekommt, soll in Zukunft jeder auf dem Globus gefertigte Artikel einer eindeutig identifizierbaren Nummer zugeordnet werden. Egal ob ein deutsches Automobil, ein Turnschuhpaar aus Vietnam oder eine Getränkedose aus Australien – jedes dieser Produkte soll einen individuellen Code erhalten. Um dies zu ermöglichen, ist die RFID-Technik in Zukunft nur in Verbindung mit dem elektronischen Produktcode (EPC) sinnvoll. In der Produktion können durchaus spezielle Tag-Frequenzen und eine interne Identifikationsnummer genutzt werden, sobald aber das etikettierte Produkt das Firmengelände verläßt, muß klar sein, daß Transporteur und Empfänger die RFID-Signale und die Informationen lesen können.

Die Idee für den elektronischen Produktcode entstand 1999 im Massachusetts Institute of Technology (MIT). Der Informationsinhalt des 64 oder 96 Bit langen Codes ist variabel, beinhaltet aber zumindest Rahmendaten wie den Hersteller, die Objektklasse und eine Seriennummer. Die Organisation EPC-Global verwaltet die Produktcodes. Sie bietet eine einheitliche Infrastruktur für die per RFID erhobenen Daten und hat für den neuen Standard schon jetzt die wichtigsten internationalen Unternehmen im Boot. Das als Internet-Domainverwalter bekannte Unternehmen Verisign hat im Auftrag von EPC-Global einen Verzeichnisdienst entwickelt, der sich in seiner Struktur an das aus dem Internet bekannte DNS (Domain Name System) anlehnt. So wie im Internet keine Webadresse doppelt vergeben wird, soll auch diese Datenbank dafür sorgen, daß jeder Produktcode nur einmal in einem RFID-Chip landet.

Mittlerweile dringt EPC-Global auch auf die Standardisierung der unterschiedlichen RFID-Frequenzen und setzt dabei aller Voraussicht nach auf Tags im Ultra-High-Frequenzbereich, den sogenannten UHF-Transpondern. Diese funken im Spektrum zwischen 868 und 956 Megahertz. Ob mit 13,56 MHz oder UHF mit 900 MHz – zunächst wird sich RFID, da sind sich die Fachleute einig, an Fahrzeugen und großen Transportverpackungen durchsetzen.

„Bei der Verfolgung von Ladeeinheiten mit Hilfe von RFID dürfte es innerhalb der nächsten fünf Jahre zu einer nennenswerten Durchdringung kommen“, sagt Winfried Krieger, Professor für Logistik und E-Business an der Fachhochschule Flensburg. Hierbei sei der Vorteil, daß die teuren RFID-Transponder nach Gebrauch zum Lieferanten zurückgesandt werden könnten, um dort aufs neue beschrieben zu werden.

Im RFID-Center von Intel und Siemens sind derweil individuelle Lösungen gefragt. So will ein süddeutscher Hotelwäscheverleih Funk-Tags in Bademäntel und Bettwäsche einweben, um diese besser verwalten zu können. Bisher überstehen die robusten Tags zwar den Waschvorgang, nicht aber die zwölf Tonnen Druck der Wasserpresse. Die Kaufhof AG prüfte jüngst in einem Praxistest ein neues Lagersystem, bei welchem die Fabrikate des Textilherstellers Gerry Weber mit RFID-Tags ausgestattet waren. Der Test verlief, nach Angabe von Gerd vom Bögel vom Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen, das den Praxiseinsatz wissenschaftlich begleitete, „für alle Beteiligten sehr zufriedenstellend“. Der Serieneinsatz sei für Anfang 2005 geplant. Noch sind die Tags für den Masseneinsatz viel zu teuer, sie liegen bei rund 50 Cent das Stück. Aber Analystenhäuser und Hersteller übertreffen sich mit Nachrichten, die das schnelle Sinken der Herstellungskosten prognostizieren. Wann also wirklich jeder Frischkäse im Supermarkt und jeder Rasierapparat im Kaufhaus mit einem smarten Chip etikettiert ist, bleibt abzuwarten.

Spätestens wenn die RFID-Etiketten vom Lager in den Verkaufsraum gelangen, stellt sich für Hersteller und Händler die Frage, ob und wie der Endverbraucher an die elektronische Warenkette mit angeschlossen werden soll. Datenschützer sehen – ähnlich wie vor 20 Jahren bei der Einführung des Barcode – hochkontrollierte Welten auf die Gesellschaft zukommen. Sieht man von der Bewegungserfassung des Produkts im Verkaufsraum ab, ist der außerhalb des Ladens funkende Chip das Kernproblem. Bleibt nämlich der RFID-Tag nach dem Einkauf aktiv, kann die gekaufte Ware auch außerhalb des Ladens noch einmal gescannt werden. EPC-Global hat reagiert und in ihren Datenschutzrichtlinien verankert, daß Käufer von RFID-Produkten stets darüber informiert werden sollen, daß sie die Möglichkeit haben, die Tags außer Funktion zu setzen oder sie abzutrennen. Teile der RFID-Branche haben sich diesen Richtlinien bereits angeschlossen.

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Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Coffee-Shop-Veteran Nol van Schaik

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Der Coffeeshop-Virus breitet sich aus

Interview mit dem niederländischen Coffeeshop-Betreiber und Cannabis-Aktivisten Nol van Schaik

Nol van Schaik hat nicht nur einen guten Namen, sondern hat sich auch einen guten Namen gemacht. Einst 1989 beim Schmuggel von 200 Kilogramm Marokkaner nur knapp den französischen Strafverfolgungsbehörden entkommen, und seitdem von diesen gesucht, eröffnete der ehemalige Bodybuilder und American Football-Spieler 1991 in seiner schönen Geburts- und Heimatstadt Haarlem, nur 15 Bahnminuten von Amsterdam entfernt, den ersten von drei „Willie Wortel“-Coffeeshops. Mit seiner Partnerin Maruska de Blaauw gründete er 1998 das „Global Hempmuseum“ und einen Growshop in Haarlem und setzt sich für ein patientengerechtes Abgabesystem für medizinisch genutztes Cannabis über Coffeeshops ein. Im Jahr 2001 versuchte er gemeinsam mit dem mutigen britischen Medical Marijuana-Kämpfer Colin Davies und anderen den ersten Coffeeshop nach niederländischem Vorbild in Stockport bei Manchester zu etablieren und riskierte dabei seine Freiheit. Ein Hanfmuseum im Belgischen Antwerpen einzurichten, scheiterte ebenfalls am Widerstand von Polizei und reaktionären Politikern. Unermüdlich engagiert er sich für Erhalt, Verbesserung und Ausweitung des erfolgreichen niederländischen Coffee-Shop-Systems, 2002 mit der Gründung eines „Coffeeshop-College“, eines Kurses für angehende Coffeeshop-Betreiber. Sein letzter Coup ist „The Dutch Experience“, ein äußerst lesenswertes Buch eines Insiders über 30 Jahre Coffeeshop-Geschichte, von der Gründung des ersten Hippie-Coffeeshops „Mellow Yellow“ 1972 durch Cannabis-Pionier Wernard Bruining (förderte praktisch als „Johnny Appleseed“ des psychoaktiven Hanfes schon 1981-1985 den Nederwiet-Eigenanbau mit der „Lowlands Seed Company“ und in den Neunzigern mit dem „Positronics Sinsemilla Fanclub“), sowie der kommerziellen Unternehmen „Bulldog“ und „Rusland“, bis zu den Problemen, mit denen sich Coffeeshop-Betreiber wie Nol bis heute konfrontiert sehen. Für die Zukunft ist ein kleines „Bud, Bed and Breakfast“ über seinem „Sativa“-Coffeeshop geplant. Und auch in Spanien engagiert sich Nol in Sachen Cannabiskultur. Nol van Schaik

az: Eines vorweg, auch wenn der Coffeeshop-Betrieb natürlich ein Geschäft ist, dass sich lohnen muss, so möchte ich die Gelegenheit nutzen, dir und allen anderen Coffeeshop-Aktivisten im Namen Vieler für eure Standhaftigkeit und euer Engagement in dieser Sache zu danken. Die Coffeeshops, wie sie in den Niederlanden existieren, scheinen eine praktikable Möglichkeit zu bieten und ein Vorbild dafür zu sein, wie man mit dem Verkauf und Konsum von Cannabisprodukten umgehen kann. Absurderweise werden in anderen Ländern wie Deutschland immer wieder Kommissionen gegründet, die andere Wege untersuchen, den Konsumenten selbst meist zutiefst suspekt, wie das Apothekenabgabemodell oder der Vetrieb über Drogenfachgeschäfte mit Fachpersonal. Ist der Coffeeshop nun tatsächlich das beste Modell für die Abgabe und den Konsum von Cannabis?

Nol: Sehr freundlich von dir uns eure Anerkennung für unseren Kampf auszudrücken; ich hoffe er mag euch in naher Zukunft als Beispiel dienen! Das Coffeeshopmodell beabsichtigte damals bei seiner Einführung wie auch heute die Cannabisgebraucher, meist junge Leute, von den harten Drogen und ihren Konsumenten fernzuhalten. Das funktionierte und funktioniert immer noch. Verglichen mit den Ländern rund um uns herum, hat Holland prozentual weniger Konsumenten von Cannabis, obwohl es frei erhältlich ist, und als eine Konsequenz dieses Systems auch weniger Konsumenten harter Drogen. Auch wenn das Niederländische Coffeeshopsystem beispielhaft sein mag, so ist die Niederländische Cannabis- und Coffeeshoppolitik aus meiner Sicht fern davon realistisch zu sein. Wie auch immer, unsere Kunden bemerken unsere Probleme nicht. Sie können Cannabis innerhalb unserer Öffnungszeiten frei kaufen und konsumieren. Wenn man das Niederländische Coffeeshopmodell mit all den Nicht-Politiken auf der Welt vergleicht, muss ich sagen, dass wir die beste Lösung für die Cannabisverteilung haben.

az: Welche Bedingungen müssen für den Betrieb von Coffeeshops noch verbessert werden?

Nol: Die Niederländische Regierung verlangt von uns mit nur 500 Gramm Vorrat zu arbeiten, was schwierig zu machen ist, insbesondere, wenn man 25 verschiedene Cannabisprodukte auf dem Menü hat. Das sollte abgeschafft werden. Jeder Laden, der alkoholische Getränke führt, kann soviel Alkohol kaufen, lagern und verkaufen, wie er will, obwohl der Alkoholkonsum jeden Tag allein in Europa den vorzeitigen Tod von hunderten Menschen zur Folge hat. Zusätzlich sollte das Mindestalter für das Betreten eines Coffeeshops auf 16 Jahre herabgesetzt werden, so wie es bis 1996 der Fall war. Die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 18 Jahre hielt die jungen Menschen nicht vom Cannabisrauchen ab, es zwang sie lediglich auf der Straße zu kaufen, von Leuten, die auch harte Drogen verkaufen! Coffeeshops decken nur 20 Prozent der holländischen Städte ab, es sollten aber 100 Prozent sein! Nur 104 von 502 Niederländischen Stadtbezirken haben Coffeeshops in ihren Stadtgrenzen! Das ist verursacht durch die meistens der CDA angehörenden Bürgermeister der Städte ohne Coffeeshops. Wie ihre Partei wollen sie die Nulllösung in Sachen Coffeeshops. Und noch immer bezeichnet unsere Regierung Holland als Demokratie…

az: Wie sieht die Zukunft des Coffeeshop-Modells aus? Wird es liquidiert oder ersetzt werden, oder werden es andere Länder übernehmen?

Nol: Die Coffeeshops als solche können nicht liquidiert oder ersetzt werden, nicht in den nächsten zwanzig Jahren. Es ist wahrscheinlicher, dass es sich ausbreiten wird, overground, das heißt, der Coffeeshop-Virus ist nämlich schon underground gesichtet worden, zum Beispiel an den Orten, wo ihr euer Rauchzeug besorgt…

az: Ein sympathischer Virus! Muss man denn hart sein, um sich im Coffeeshop-Geschäft behaupten zu können?

Nol: In gewisser Weise ja, aber nicht im Geschäft an sich, sondern mehr gegenüber dem ständigen Druck durch die Veränderungen in der Politik. Du musst stark sein, um einen Coffeeshop zu eröffnen, stark gegen das negative Image, das geschaffen worden ist, gegen die Autoritäten, die dich nicht mögen und gegen dumme Leute, die zufällig Justizminister sind. Das Cannabusiness in Holland ist O.K.; es wurde angefangen von einem Hippy, was die Standards gesetzt haben muss, Danke, Wernard!

az: Was macht einen guten Coffeeshop aus?

Nol: Ein guter Coffeeshop hat freundliches erfahrenes Personal, das Hasch und Marihuana guter Qualität verkauft, bevorzugt über die Waage, nicht in vorabgepackten Tütchen. Die Lüftung ist ausreichend; der Ort ist schön dekoriert und hat eine warme einladende Atmosphäre. Alle Arten von Rauchzubehör sollten vorhanden sein, ebenso wie ein guter Vaporizer. Selbst ein kleiner Shop sollte einige Brettspiele, Zeitung(en) und einen Cookie mit einer Tasse Kaffee bieten können.

 

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az: Natürlich kann er oder sie zu dir kommen, aber wie findet man den passenden Coffeshop ohne zu lange zu suchen, ganz allgemein?

Nol: Coffeeshops unterscheiden sich sehr im Stil oder kulturellem Vorherrschen, wie Bars oder Discos. Ein Hard Rock-Fan wird in keinem Fall in einen Reggae-Style-Coffeeshop gehen. Mein Tip: Geh an einen Ort mit vielen lokalen Stammkunden, weil die deine Preis-Leistungsverhältnis-Garantie sind. Ortsansässige werden keine hohen Preise für niedrige Qualität akzeptieren, deshalb tust du besser daran, dort zu kaufen, als an einem Ort, der hauptsächlich von Touristen besucht wird. Der erste Kontakt mit dem Personal sagt dir auch eine Menge; wenn sie freundlich sind, spiegelt sich das in der Kundschaft des Coffeeshops.

affe raucht

az: Wie alt muss ein Kunde sein? Wieviel darf er einkaufen? Darf er an den Thresen für wiederholte Käufe gehen? Darf er mehrmals am Tag wiederkommen? Was geschieht, wenn er mit seinem Kauf von der Polizei geschnappt wird? Gibt es außerhalb oder innerhalb der Coffeeshops Kontrollen?

Nol: Jeder Kunde über 18 Jahren kann 5 Gramm pro Coffeeshop pro Tag kaufen. Sie können für mehrere Käufe wiederkommen, aber tatsächlich müssen wir uns daran halten, pro Person pro Tag 5 Gramm zu verkaufen. In Wirklichkeit verkaufen wir dir, was du rauchen kannst…Die Polizei hat keine Zeit, kein Personal und keine Motivation die Verkäufe der Coffeeshops zu überprüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist nur real in der Grenzregion zu Belgien.

az: Wie sollte sich ein Coffeeshop-Besucher benehmen?

Nol: Wie einer von uns, baue, inhaliere und genieße die Gesellschaft anderer Raucher. Es funktioniert immer. Cannabis ist auch eine Art Sprache, die jeder Raucher versteht. Benimm die einfach natürlich…

az: Wie kann man als Kunde die richtige Wahl aus den umfangreichen Menüs treffen? Wie sollte er wählen, und was sollte er meiden?

Nol: Das hängt von deinem Geschmack und Toleranzlevel ab. Wenn du also ein erfahrener Raucher bist, wag dich ans ganze Menü! Es ist ganz normal, den Dealer zu fragen. Sie können dich dabei beraten auszuwählen, wenn du ihnen erklärst, was du von dem Cannabis willst, ein helles High oder einen entspannenden Buzz. Mehr als eine Frage der Auswahl, ist es eine Frage der Dosierung. Jeder kann das stärkste Ice Hasch rauchen, wenn er seine Pfeife oder seinen Joint entsprechend seiner Bedürfnisse dosiert.

az: Gibt es noch importiertes Haschisch oder Gras, das mit dem kräftigen heimangebauten Nederwiet und Nederhasch konkurrieren kann?

Nol: Zur Zeit können sie nur unser Menü ergänzen. Hasch ist jetzt nur noch 15 bis 20 Prozent unserer Verkäufe. Es waren vor zwölf Jahren 90 Prozent. Einige Hasch-Varietäten, wie Nepalesische Tempelbälle und Indischer Charas, sind unvergleichlich. Manche Leute werden sie immer gegenüber Nederwiet bevorzugen.

az: Manche sagen, das importierte Gras und Hasch in den früheren Tagen vor der Einführung von Nederwiet seien nicht so stark und von solcher Qualität gewesen, wie das Homegrown-Zeug heute. Was sagst du dazu?

Nol: Wahr, aber das war gewöhnlich (von) samenreichem Weed. Die Sinsemilla-Anbautechniken haben die Qualität der Buds und des extrahierten Hasch verbessert.

az: Sind immer noch qualitativ hochwertige Sorten wie Afghane, Nepalesische Tempelbälle und Thaisticks erhältlich wie in den Siebzigern und frühen Achtzigern, oder gehören sie ins Reich der Legenden? rund 3 gramm haschisch

Nol: Wir haben Nepalesische Tempelbälle auf unserem Menü und zwei Sorten Afghanen, also sind sie immer noch am Leben und qualmen. Ich hatte bis vor zwei Jahren Thaisticks, hab aber seitdem keine Guten mehr gesehen. Ich hoffe, wir werden auch in der Zukunft in der Lage sein, gute ausländische Haschsorten zu führen. Wir haben außerdem Indischen Charas und etwas Malana Cream, alles abhängig von unseren guten Kontakten mit den Lieferanten, die wir jetzt seit vielen Jahren kennen.

az: Welche Sorten sind definitiv vom Markt verschwunden? Gehören Türkisches und Libanesisches Haschisch dazu?

Nol: Da war nie eine große Ladung Türkisches Hasch erhältlich. Es kommt immer in kleinen Mengen, wenn es kommt. Es ist keine konstante Sorte. Libanese wird wahrscheinlich bald wieder zurück sein. Das Bekaa-Tal ist wieder voller Cannabis. Aber was uns kürzlich als Libanese angeboten wurde, kam wahrscheinlich aus Syrien, nicht so gut.

az: Mit Cannabis ist es ähnlich wie mit Wein, Kaffee oder Zigarren. Der Feinschmecker liebt ausgefallene Varietäten aus aller Welt. Hast du jemals Chinesisches, Philippinisches oder Haschisch von anderen exotischen Lokalitäten getestet?

Nol: Ich habe Chinesisches Hasch probiert, gebracht von einem Freund, der dort aus geschäftlichen Gründen war, nicht schlecht, aber nichts Besondres. Ich wünsche mir, ich könnte das Unbekannte testen…

az: Hat es im Laufe der Jahre Veränderungen in den Vorlieben bezüglich der verschiedenen Sorten gegeben? Bevorzugen bestimmte Subkulturen spezielle Cannabisprodukte? Haben Menschen aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Favoriten?

Nol: Nicht dass ich wüsste, insbesondere nicht mit der Auswahl, die wir bieten. Die Leute lieben es, eine Menge verschiedener Varietäten auszuprobieren. Coffeeshops sind die Orte, wo du das kaufst, was du in deiner Gegend nicht kriegen kannst.

az: Du hast zweien deiner Coffeeshops die Namen „Indica“ und „Sativa“ gegeben. Was ist der Unterschied zwischen einem Indica-Freund und einem Sativa-Liebhaber?

Nol: Der einzige Unterschied ist ihre Vorliebe für Sorten, von denen sie das kriegen, was sie wollen. Am Ende sind sie beide einfach Genießer von Cannabis; einer braucht ein stärkeres Gras um auf ein bestimmtes Level zu kommen, aber sie beide werden das Level erreichen, was sie sich wünschen. Oh, und ihre Joints riechen recht unterschiedlich!

az: Was kann ein Kunde tun, wenn er sich angeschissen vorkommt? Ich weiß, das in den meisten Fällen, insbesondere heute, die meisten Produkte der meisten Coffeeshops von einer relativ guten Qualität sind, zumindest machen sie stoned, obwohl die Preise angestiegen zu sein scheinen. Aber es ist nicht unmöglich, dass jemand importiertes Hasch oder Gras kauft, das zu alt, zu schwach, ausgetrocknet oder verschimmelt ist, oder im Falle von Nederwiet mit Pestiziden behandelt. Es gibt außerdem Gerüchte über die falsche Bezeichnung von Gras- und Haschsorten oder der Streckung und Mischung von Hasch um die Nachfrage nach bestimmten Varietäten zu befriedigen. In den Achtzigern gab es auch Betrügereien, den Verkauf von Hasch-Fälschungen („Afghan“, „Malana Cream“) an unwissende und schüchterne Touristen, meist in kurzlebigen Hanfblatt-Cofffeeshops im Zentrum von Amsterdam, aber ich beobachtete dies sogar einmal bei dem heute nicht mehr existierenden Hausdealer im berühmten Melkweg.

Nol: In unseren Shops kannst du immer zurückkommen und umtauschen, wenn du die Buds oder das Hasch, das du gekauft hast, nicht magst. Ich kann sagen, dass wir so wie viele unserer Kollegen kein schlechtes Cannabis haben. Ich weiss, dass andere, seit Jahren immer die selben Sorten auf dem Meü haben, was praktisch unmöglich ist. Du magst White Widow ordern und Power Plant kriegen, das ist wahr. Ich gehe dann und wann auf kleine Shoppingtouren durch Holland und unglücklicherweise gibt es immer noch Shops, die Weed und Hasch niedriger oder schlechter Qualität verkaufen. Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, ist dass der Besitzer eines solchen Ladens selbst kein Cannabis raucht. Ein Raucher würde Seinesgleichen kein schlechtes Zeug anbieten. Wieauchimmer, wenn ich es mit 7/8 Jahren davor vergleiche, hat sich das sehr verbessert. Das ist der sich selbst regulierende Weg, nach dem das System funktioniert. Wenn du nur schlechte Ware hast, wird der Raucher zum nächsten Kollegen gehen, so dass du gutes Zeug verkaufen musst, um nicht bankrott zu gehen. Die Leute sollten eine Site im Internet haben, wo sie von schlechtem Cannabis berichten könnten, findest du nicht auch?

az: Sicher, sicher, eine gute Idee, und dazu noch umsonst, also ran an die Kartüffeln…Wie du es in deinem wunderbaren Buch erzählst, bist du sehr offen mit deinem Geschäft. Jeder kann weltweit den Verkauf von Cannabis in einem deiner Shops über Webcam fast live beobachten. Hat mal jemand deiner Kunden dagegen protestiert, oder lächeln sie alle nur, weil ein freier Mensch nichts zu verbergen hat, auch wenn es dumme Menschen nicht verstehen?

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Nol: Wir hatten nie eine Beschwerde darüber. Einige Leute wollen austesten, ob es echt ist, also winken wir ihnen oder halten einen Geldschein vor der Kamera hoch, so dass sie sehen können, dass wir lebendig sind.

az: Beabsichtigst du mal eines Tages ein Fachbuch über Management und Warenkunde für Coffeeshop-Gründer und -Mitarbeiter zu veröffentlichen? Du könntest der Richtige dafür sein.

Nol: Ich arbeite zur Zeit in Spanien gerade genau da dran, und ich bereite einen neuen Kurs vor: „Cannabis Noledge“. Ich werde euch auf dem Laufenden halten…

az: Und wer zum Teufel ist „Willie Wortel“?

Nol: „Willie Wortel“ ist der holländische Ausdruck für eine erfinderische Person, die ständig mit neuen Dingen kommt. Es ist auch ein Charakter in „Donald Duck“, der erfinderische Storch, ein Neffe von Donald. Viele Leute nennen mich Willie, aber ich nenne nur einen bestimmten Teil meines Körpers so.

az: Möchtest du etwas hinzufügen?

Nol: Kämpft weiter gegen die Prohibition. Wir können die Lügen besiegen!

Das Buch:

Nol van Schaik
The Dutch Experience.
The inside story: 30 years of hash grass coffeeshops, 1972-2002
2002, Real Deal Publishing (www.realdealpublishing.com)
323 Seiten

Weitere Informationen:
www.hempcity.net

 

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Rezensionen

Feiner Rohstoff – Der Journalist und Autor Jörg Fauser

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Der Autor und Journalist Jörg Fauser wäre dieses Jahr 60 geworden, aus Dank hetzt man in durch das Feuilleton, feiert sogar seinen Geburtstag mit einer Party in München. Warum?

Jörg FauserWas ist so faszinierend an den Arbeiten des Mannes, die die Kritik im Niemandsland zwischen Junggesellenliteratur und Drogenroman geparkt hat? Die enorme Dichte der Erzählung? Die fast wütende Treibjagd der Worte, der enorme Druck, der den Leser durch den Text schiebt? Oder die in den Text übertragende Desparado-Stimmung eines Mannes, der immer rücksichtslos schrieb? Wahrscheinlich alles das und noch mehr. Jörg Fauser entzieht sich den Schubladen.

Der „Faszination Fauser“ nachzuspüren waren an einem Samstag im Juli auch die Gäste der „Jörg Fauser Nacht“ in der Reithalle in München gekommen. Da wurde wacker aus seiner Prosa vorgelesen und Franz Dobler rhythmisierte köstlich ein Gedicht Fausers, wortprächtig unterstützt von einem eingefleischten Fauser-Fan im Publikum, der an allen wichtigen Stellen Dobler vorgriff und ihm die Pointe brüllend wegschnappte. Dem Publikum war das zu viel der Begeisterung. Fauser hätte es wohl gefallen, so ein angetrashter Aufstand gegen die Versilberung seines Werkes.

Fauser, geboren 1944 im Taunus, verlässt 1967 vorzeitig den Zivildienst und landet im Tophane-Viertel in Istanbul, wo er ein Jahr die Türkei und das Heroin kennen lernt. Eine Zeit, die Leben und Werk lange bestimmt, seine Erlebnisse dort werden in seinen Schriftstücken immer wieder verarbeitet. „Tophane“ erscheint 1972, die „Harry Gelb Story“ 1973. Die Texte gelten als die erste ernst zu nehmende Beat-Literatur Deutschlands.

Fauser ist mittlerweile vom Heroin runter, keine Lust mehr auf den Untergrund, aber auch keine Lust im deutschen Literaturreigen mitzutanzen. 1981 erscheint „Der Schneemann“, Hauptfigur ist ein sympathischer Tunichtgut, der eigentlich nur ein paar dänische Pornohefte an den Mann bringen will, aber in eine Mordgeschichte mit viel Koks reinstolpert. Fausers Stil ist kurz angehalten und treffend: „Wichtig ist, wie immer im Leben, das Glück nur in kleinen Dosen zu sich zu nehmen, so verschmerzt man es leichter, wenn es einem entzogen wird. Denn das Glück, meine Herren, ist die teuerste Droge.“ Später wurde das Buch von Peter F. Bringmann mit Marius Müller-Westernhagen verfilmt. Erfolg stellt sich ein, Fauser bleibt getrieben.

Fauser1978 legt er scheinbar aus dem Nichts eine Marlon Brando Biographie vor, er der er sich nicht nur mit Brando, sondern mehr noch mit den „Kulturverwesern“ beiderseits des Atlantiks beschäftigt:

Sie seichen, schleimen, und laichen, gemietete Schreiberlinge jeder Provenienz, bezahlte Zuträger der Macht, von den Managern der Bewusstseinsindustrie ins Fernsehen gehievt, ausgehalten von den Zuhältern jener Konzerne, die das Abendland und das Morgenland bis auf den letzten Quadratmeter ausplündern, um sich sodann dem Weltraum zuzuwenden.“

Der Kulturindustrie gegenüber bleibt Fauser immer skeptisch, seine Kritik an den Verhältnissen mehr als bissig.

1984 erscheint „Rohstoff“, sein vermutlich bester Roman. Das gerade im Alexander-Verlag wieder aufgelegte Buch zeigt den Protagonisten in den Wirren der 68er-Zeit, und während die Anarchos das System stürzen wollen und die Hippies auf dem sanften Weg nach Innen sind, irrt die Hauptfigur zwischen Junk-Leben und der Arbeit an einem Roman durch die Weltgeschichte:

„Nachdem das Opium alle war, kaufte ich eine Flasche billigen Kognak, und irgendwann am nächsten Morgen erreichte ich Saloniki. Ich hatte noch meinen Ausweis, etwa 500 türkische Lira, meine Brille und die Fetzen, die ich auf dem Leib trug, aber mein Roman war weg.“

Fauser berichtet mitreißend real, journalistischer Stil paart sich mit literarischer Klasse. Er interviewt Charles Bukowski für den Playboy, für Achim Reichel schreibt er den Text zu dessen Hit „Der Spieler“, mit ihm zusammen taucht er bei Dieter-Thomas Hecks „Hitparade“ in Boxerkutte auf.

Leben und Werk vermischen sich bei Fauser, aber statt des Sozialzynismus der Pop-Literaten, die ihr Muttersöhnchen-Dasein als Abräumhalde für Textschrott nutzen, sucht Fauser den urdemokratischen Zugang und will seine Worte da wieder finden, wo sie entstanden sind. Unten. So will er vom Schreiben, nicht aber mit dem Bürgertum leben. Für seine letzte große Reportage begleitet er 1987 Joschka Fischer im Wahlkampf und zeichnet ein scharfes Bild des Grünen auf dem Weg zur Macht. Es ist wohl dessen Realitätsnähe, die Fauser sich für Fischer begeistern lässt.

Im Juli 1987 wird der Fußgänger Fauser auf der Autobahn bei München überfahren. Was er da wollte, ist bis heute unklar. Fausers hinterlässt mit seinen Schriften kernige Kommentare auf die Zustände der Republik, unverhauene Romane, spannende Krimis und brillante Gedichte.

Rohstoff

Die wichtigsten Werke von Jörg Fauser

Die Jörg Fauser Edition beim Alexander-Verlag, Berlin. Bd. 1: Marlon Brando, Der versilberte Rebell; Bd. 2: Rohstoff; Bd. 3: Der Schneemann; Bd. 4: Trotzki, Goethe und das Glück. Gedichte.
Rührige Gesamtausgabe von Fausers Werken.

Jörg Fauser: Blues für Blondinen. Essays zur populären Kultur. 1984. Frankfurt a.M.: Ullstein. Essays, Feuilletons, Kolumnen und Reportagen, die Fauser zwischen 1979 und 1983 u.a. in den Zeitschriften „lui“, „TransAtlantik“ und in der „Basler Zeitung“ veröffentlicht hat.

Matthias Penzel, Ambros Waibel: Rebell im Cola-Hinterland. Jörg Fauser. Berlin 2004. Edition Tiamat. Just erschienene Biographie, die Werk und Leben intensiv beschreibt.

 

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Drogenpolitik

Nützliche Varianten – Wie der Staat mit Cannabis umgehen sollte

HanfBlatt, Nr.91, Oktober 2004

Nützliche Varianten

Neue Lösungswege gesucht – und gefunden. Wie der Staat mit Cannabis umgehen sollte

Das drogenpolitische Feld wird national und international von verhärteten Fronten dominiert. Auf der einen Seiten stehen „Prohibitionisten“, auf der anderen „Legalisierer“. Wer mit Diskussionsbeiträgen auf dieses Feld tritt, der muss sich schnell entscheiden und in die sichere Deckung der einen oder anderen Seite springen. So wird jede Studie, jede Forschungsarbeit, jeder Aufsatz und jeder Artikel schnell einer der Seiten zugeordnet. Unter diesen Bedingungen kann kaum vernünftige Wissenschaft, geschweige denn Politik betrieben werden. Bisher entsteht bei den Debatten mehr Hitze als Licht.

Hanf

Gesucht ist ein Ausweg aus der leidvollen Ironie, das die Cannabis-Gesetze primär erlassen wurden, um den Konsumenten vor sich selbst zu schützen, diese Gesetze selbst aber die größte Gefahr für ihn darstellen. Also Freigabe? Die Idee der Legalisierung erfuhr auf politischer relevanter Seite schon immer äußerst wenig Unterstützung, während Entkriminaliserung in den frühen 70er durchaus en vogue war. In den USA beipielsweise, heute das Motherland des „War on Drugs“, entkriminalisierten 11 Staaten den Genuss und Besitz kleiner Mengen von Marihuana; die in den Jahren nachfolgenden Statistiken wiesen keinen Erhöhung des Konsums nach. Veränderte politische Großwetterlagen ließen keine weiteren Experimente zu.

Fest steht, dass die Prohibition gescheitert ist. Seit Jahrzehnten aber steht trotzdem hinter der Drogenpolitik der UNO und der globalen Regierungen der Glaube, dass immer mehr von demselben die Weltbevölkerung auf wundersame Weise zum drogenfreien Glück führt. Aber jede – auch zukünftige – Gesellschaft wird eine „Drogenproblem“ haben, egal welche Drogenpolitik gewählt wird. Die Aufgabe ist, die Probleme zu minimieren, und zwar die Probleme, die durch den Drogenmissbrauch und durch die Politik selbst verursacht werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Wissenschaft von den Drogen, die Drogenpolitik und deren staatliche Durchsetzung allzu sehr auf die relativ wenigen Süchtigen fokussiert. Diesen muss geholfen, die Anderen müssen in Ruhe gelassen werden.

Eine Drogenpolitik, die die fundamentale Erkenntnis leugnet, dass Drogenkonsum Spaß bringen kann, und das ein hoher Anteil von Menschen durch diesen Spaß auch keine psychischen oder physischen Probleme bekommt, darf sich nicht wundern, dass die Jugend die gut gemeinten Botschaften der Aufklärung nicht erhört.

Leider ist das durch Schule, BRAVO und Kumpels vermittelte Wissen über Drogen schlichtweg mangelhaft oder gar ungenügend (Setzen, 6!). Und weil sie zur Zeit keinen Alkohol- oder Kokainabhängigen Mitschüler kennen, glauben Schüler nicht daran, dass einer dieser forschen Typen in fünf Jahren seine Nase nicht mehr aus dem Puder kriegt.

Im Kern exisitieren fünf Modelle, wie der Umgang mit Hanf, dessen Produkten und dessen Konsum reguliert werden kann. In der Tabelle unten sind neben den Vor- und Nachteilen die Realisierungsaussichten des jeweiligen Modells aufgeführt.
(1) Unter dem Begriff „Entpönalisierung“ sind die Regulierungs-Möglichkeiten aufgeführt, bei denen der Besitz von Cannabis weiterhin illegal bleibt, aber mit milderen Strafen als bisher belegt wird. Hierzu gehört auch das holländische Modell.
(2)Der Begriff der „Entkriminalisierung“ trägt in seiner unterschiedlichen Verwendung zur Verwirrung bei. In der oft genutzten Form meint er, dass Produktion, Verteilung und Verkauf illegal bleiben, aber keine strafrechtlichen Verfolgung des Besitzes für den persönlichen Gebrauch existiert. Ein Beispiel für eine ersatzlose Entkriminalisierung durch die Herauslösung bestimmter Straftatbestände ist der Vorschlag von Sebastian Scheerer, Kriminologe an der Universität Hamburg, den § 29 BtMG so zu revidieren, daß Handel mit nicht geringen Mengen weiterhin mit Freiheitsstrafe bedroht wird, der Handel mit geringen Mengen als Ordnungswidrigkeit zu ahnden ist und nicht auf Handel bezogene Tatbestände gänzlich straffrei gestellt werden.
In einigen anderen Definitionen der „Entkriminalisierung“ bleibt aber die Möglichkeit der Geldbußen bestehen, die, wenn sie nicht gezahlt werden, doch wieder zu Gefängnisstrafen führen können.
Darum wird die sagenumwobende „Entkriminalisierung“ hier in einen neuen Begriff überführt: Partielle Prohibition. Das erlaubt den Besitz von kleinen Mengen und einigen Pflanzen. Wie hoch diese Mengen dann tatsächlich sind, darüber lässt sich in den Einzelheiten trefflich streiten, hier soll nur der prinzipiell-praktische Weg aufgezeichnet werden.
(3) Die über Lizenzen regulierte Abgabe ist die erste von drei Variante, die dem Staat Steuereinnahmen bringt. Eine weitere ist die Gleichstellung von Cannabis mit Alkohol und Tabak, erst die dritte und letzte nennt sich „Legalisierung“ und beinhaltet die Freigabe des Hanfs.

Welche Folgen das Entstehen einer Cannabis-Wirtschaftzweig nach sich ziehen würde bleibt Spekulation. Die Szenarien reichen von einer völlige Banalisierung der Droge in Richtung eines jugendlichen Massenkonsumprodukts (Alkopops) über die Billig-Fusel-Variante (knallt toll – bis zur Verblödung) bishin zur Connaisseure-Welt, die, ähnlich wie bei hochwertigen Weinen, den Rausch und das dafür nötige Produkt zelebriert. Aus Sicht einer Drogenpolitik, die unter der Prämisse arbeitete, dass jeder Nichtkonsument ein guter Bürger ist, weist diese Art der Regulierung noch weitere Pferdefüße auf. Würde Cannabis eine der Waren im Kreislauf der Konsumgüterindustrie, wäre es auch dessen Gesetzen unterworfen. Gänzlich freigegeben wäre es ein Marketingobjekt, dessen Bewerbung vielleicht offiziell verboten wäre, dessen Konsumenten aber viel zu kaufkräftig wären, um nicht Zielgruppe der Werbestrategie großer Konzerne zu sein. Schon jetzt spiel die Industrie mit den Symbolen der Hanfbewegung, jede Gesetzeslücke würden in Zukunft sicher ausgenutzt werden, um potentielle Kiffer von der „ganzen und reinigenden Kraft des göttlichen Krauts“ zu überzeugen.

Unter strikter Lizenz des Staates würde der Cannabis-Behörde die unheilvollen Rolle eines „Dealers“ zukommen, der an der Abhängigkeit einiger Konsumenten verdient. Diese Doppelmoral ist von Alkohol und Tabak bekannt. Die zweckgebundene Verwendung der Einnahmen aus der Cannabissteuer wäre ein Trost, dessen heilsame Wirkung sich wiederum schwer in Zahlen fassen lässt.
Wie auch immer sich die Politik zukünftig bewegen wird, sie wird weitere Steuerungsverluste vermeiden wollen. Keiner weiß genau zu sagen, ob das Verlangen nach Cannabis nach einer Neuregulierung des Besitzes ansteigen oder nachlassen wird. Die Wissenschaft geht zwar eher davon aus, dass es zunächst leicht ansteigen, sich später aber wieder auf dem gewohnten Niveau einpendeln wird, festlegen lassen will sich da aber aus gutem Grund kein solider Wissenschaftler.
Zieht man dazu noch in Betracht, dass „Die Seuche Cannabis“ (SPIEGEL Titel 27/2004) zur Zeit mal wieder auf einem Hoch der medialen Aufmerksamkeitswelle liegt, die nach dem Prinzip „Horror-Droge in Anmarsch“ für mehr Verwirrung als Aufklärung sorgt, dann sieht es für die Evolution der Drogenpolitik weiterhin mies aus. Dabei wären alle der hier genannten fünf Regulierungsmodelle ein Fortschritt gegenüber der herrschenden Stagnation.

 

Wie der Staat mit Cannabis umgehen kann

Regulierungsmodell

Vorgehen

Vorteile

Nachteile

Realisierungsaussichten

Prohibition mit milderen Strafen (Entpönalisierung I) – Strafen für Eigenbedarf werden herabgesetzt.– Strafbarkeit des Handels bleibt bestehen. – Cannabis-Liebhaber werden nicht mehr „sehr hart“ für ihr Hobby bestraft.
– Kann ein erster Schritt Richtung Normalisierung sein.  
– Konsum ist weiterhin stigmatisert, Genießer werden bestraft.– Kleinstmöglicher Schritt, der fälschlicherweise als ausreichend angesehen werden könnte.– Polizei u. Gerichte weiterhin stark beschäftigt.

– Schwarzmarkt bleibt.

– Obwohl nur eine Normierung des Faktischen, da die Gerichte ohnehin schon oft milde Strafen ausstellen, ist eine Realisierung unwahrscheinlich: Die bei Politikern unbeliebte Cannabis-Diskussion wäre ausgedehnt, das Ergebnis dafür minimal.
Prohibition mit Zivilstrafen (Entpönalisierung II:   Geldbuße) – Konsum und Besitz von Eigenbarf sind keine Straftaten mehr, sondern werden zivilrechtlich behandelt (Ordnungswidrigkeit).
– Evtl. werden Geldbußen verhängt.– Der Handel bleibt strafbar.
– Die Konsumenten sind nicht mehr vorbestraft.
– Gerichts- und Polizeikosten fallen.– Hohes Maß an staatlicher Kontrolle möglich. Aus staatl. Fürsorgesicht blieben die Vorteile des prohibitiven Systems bestehen. 
– Wer die Geldbußen nicht zahlt oder sich für unschuldig hält landet doch wieder vor Gericht (50% in Süd-Australien).
– Schwarzmarkt bleibt.
– Stigmatisierung der Konsumenten bleibt.
– Evtl. erhöht Polizei Verfolgunsgsdruck (so in Kanada).
– Von den Gegnern würde das Schlagwort d. „falschen Signals“ aus der Mottenkiste der längst widerlegten Argumente gezerrt werden.– Den fallenden Gerichtskosten würde der Verwaltungsaufwand der Ordnungsämter gegenüberstehen (so in Spanien seit 1991).
Prohibition mit Zweckmäßigkeitsklausel (Entpönalisierung III: Niederlande) – Der Besitz von bis zu 5g wird nicht verfolgt, obwohl er als Straftat gilt.– Bei über 5g Geldstrafen, bei über 30g Ermittlungsverfahren.– Coffeeshops dürfen 5g pro 18-jähr. und Tag verkaufen. – Seit 25 Jahren erprobtes Modell.
– Zumindest i. d. Niederlanden kein Anstieg der Konsumentenzahlen . 
– Übertragbarkeit des Modells unsicher.
– Rechtlich wässrig: Besitz illegal, aber erlaubt.
– Coffee-Shop Hintertür-Problem.
– Händler mit einem Bein im Gefängnis.
– Aufgrund der rechtlichen Unklarkeit in Deutschland unerwünscht.– Obwohl das niederl. Modell als erfolgreich gilt, haftet ihm aus Sicht der Prohibi- und Präventionisten der wilde Duft der Anarchie an.
Partielle Prohibition (Entkriminalisierung) – Besitz kleiner Mengen für Erwachsene (10-40g) legal.
– Besitz von bis zu 5 Pflanzen pro Haushalt legal.
– Non-profit Weitergabe unter Erwachsenen erlaubt.
– Kein Konsum in der Öffentlichkeit.
– Keine vorbestraften Kiffer.
– Entlastung von Polizei u. Gerichten.
– Tauschnetzwerke etabl. sich.
– Abschreckung bleibt, da Handel und Produktion gr. Mengen illegal bleiben.
– Entemotionalisierung möglich.
– Drogenaufklärung glaubwürdiger.
– Flexibles Modell, kann rückgängig gemacht werden.
– Die „Droge“ Cannabis bleibt verboten: der Schwarzmarkt bleibt bestehen.
– Was ist mit männl. Pflanzen?
– Vielfalt eingeschränkt: Tendenz zu großen und potenten Pflanzen möglich.
– Für starke Raucher bleibt Verfolgungsdruck bestehen.
– Trotz bestechender Logik würde das Modell als „Legalisierung“ gebrandmarkt werden.
– Politik hat Angst vor „Schleusenfunktion“.
– Die Crux ist der Eigenanbau: Dieser ist politisch kaum durchzusetzen, aber ohne ihn bleibt die Versorgung illegal.
– International eher zu realisieren, als in Deutschland. Aus positiven Auslandserfahrungen könnten Inlandsdruck resultieren.
Lizensierung
(Regulierte Abgabe)
– Vergabe von Kiffer-Lizenzen.
– Kiffer werden registriert und dürfen festgelegtes Quantitätslimit nicht überschreiten.– Cannabis-Industrie oder Behörde leiten Coffee-Shops.– Zentr. Datenbank erfasst Käufer.

– Entzug der Lizenz bei Vergehen.

– Qualität ist gewährleistet.– Geschultes Personal verkauft.– Steuerneinnahmen.

 

– Überwachung der Raucher: Orwellscher Staat.– Arbeitgeber, Versicherungen usw. mit Zugang zu dem Register?– Austrocknung des Schwarzmarktes unsicher.

– Neuer Behördenwasserkopf.

– Ein Modell mit dem Charme des überdrehten Rechtsstaates. Von daher in Deutschland nicht ganz unwahrscheinlich.– Gegenargument wird sein: „Staat darf nicht zum Dealer werden.“
Partielle Regulierung
(Cannabis gleicht Alkohol und Tabak)
– Spezielle Behörde registriert Cannabis-Bauern.– Diese Behörde legt Steuern, Etikettierung, Reinheit und Potenz des Cannabis fest.– Lizensierte Abgabstelle verkaufen (an Erwachsene).

– Keine Werbung, kein öff. Konsum.

– Schwarzmarkt wird nahezu stillgelegt.– Qualitätskontrolle.– Steuereinnahmen.

– Glaubwürdige Drogenpolitik möglich: Drogenkonsum ist Teil der Gesellschaft.

– Polizei u. Gerichte sind entlastet.

 

– Der Staat verdient an den (wenigen) Cannabisabhängigen.– Ist Eigenanbau legal? Wenn ja, dann müsste dieser wie heute das „Bierbrauen im Privatkeller“  gelöst werden.  – Gering, da zu weit vom beliebten und herrschenden Modell der präventitiven Prohibition entfernt.– Noch eine Droge in der stets suchtgefährdeten Konsumgesellschaft? Das wollen wie wenigsten CDU u. SPD-Abgeordneten ihrem Wahlkreis erklären wollen: Zu anstrengend, zu wenig neue Wähler.
Legalisierung
(Freigabe mit Qualitätskontrolle)
– Das entscheidenste Drogengesetz ist das von Angebot und Nachfrage.– Steuern werden erhoben.– Cannabis ist ein Lebensmittel.

 

– Preis und Qualitätskontrollen sind dem Markt überlassen.– Schwarzmarkt bricht zusammen.– Polizei- und Gerichte mit mehr Zeit fürs Wesentliche.

– Trennung der Märkte.

– Werbung ist –wenn auch wie bei Tabak- möglich.– Wirtschaft und Staat verdienen an der Abhängigkeit.– Wie wird das Konsumverbot für Jugendliche geregelt? – Nach kosmischer Zeitrechnung gut, nach irdischen Maßstäben gleich Null.

 

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Psychoaktive Substanzen

Interview mit Gerhard Seyfried

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Von der Spaßguerilla in den deutschen Herbst

Comic-Sponti Gerhard Seyfried hält die Historie neuerdings lieber schriftlich fest. Letztes Jahr debütierte er mit „Herero“, einem Tatsachenroman über Namibia, sein neues Buch spielt in der Zeit der Schleyer-Entführung. Im Interview mit dem HanfBlatt spricht er über die 68er-Zeiten, die Kolonialgeschichte der Deutschen und chinesisches Opium.

Seyfried Sicher, die Berge, das schmucke Barock-Örtchen Solothurn, und die freundlichen Schweizer, das alles trägt zum Wohlfühlen bei. Aber bevor es ihn in die schweizerische Provinz verschlug, lebte Gerhard Seyfried 26 Jahre in Berlin. In den 70er Jahren gestaltete er die radikalen Zeiten mit und wurde mit seinen Karikaturen zum Liebling der Haschisch- und Hausbesetzer-Szene.

Der Wechsel vom Kiez zur Kuh, 2002 vollzogen, war weniger eine Suche nach neuen Wegen oder Eindrücken als vielmehr eine Abkehr von Berlin. Dessen Hauptstadtallüren hatten aus Sicht Seyfrieds, 56, die Reste der anarchischen Subkultur der 80er Jahre zersetzt. In seinem Heimatbezirk Kreuzberg hatten die Autos die Herrschaft über die Straßen übernommen und mit den zahllosen Döner-Buden und Handy-Läden war, so Seyfried, „Monokulti entstanden“.

Vor zwei Jahren hattest du noch behauptet, nie einen Roman über Berlin schreiben zu können, weil du „kein Nostalgiker“ wärst. Und nun doch ein Buch über die 70er Jahre in Berlin und München. Liegen Heimweh und Nostalgie dicht beieinander?

Das hat wenig mit Heimweh zu tun, sondern damit, eine zum großen Teil erlebte Geschichte aus den 70ern zu erzählen. Ich bleibe damit der Geschichtsschreibung treu, wie mit den Comics begonnen und mit Herero fortgesetzt.

„Der schwarze Stern der Tupamaros“ beschreibt eine Liebe in den Zeiten der Stadt- und Spaßguerilla sowie des nachfolgenden Terrorismus. Wie hast du die Radikalisierung der Szene damals erlebt? Musste der Widerstand in einer dogmatischen Sackgasse enden?

Seyfried Staat und militante „Szene“ haben sich ja gegenseitig aufgeschaukelt, wobei dem Staat das Verdienst gebührt, angefangen zu haben. Der Widerstand hat zwar teils in der Sackgasse geendet, hat aber auch seine Fortsetzung in anderen Formen gefunden.

„Wie konntet ihr die Nazis zulassen?“, das war eine der wichtigen Fragen in der Zeit.

So notwendig die Auseinandersetzung war, so ungerecht war sie teilweise auch. Sicher, die Alten waren begeisterte Nazis gewesen, aber eben aus einem fatalen Irrtum heraus. Und wer dagegen war, dem waren oft die Hände gebunden. Wir müssen uns ja jetzt schon fragen lassen, warum wir nicht mehr gegen Atomkraftwerke getan haben.

Wenn du das Gefühl der damaligen Zeit in einen Satz fassen müsstest? … würde zu wenig dabei heraus kommen. In zwei Sätzen: Man hat uns gesagt, wir leben in einer Demokratie. Das haben wir ernst genommen, womit scheinbar niemand gerechnet hat.

Du willst wieder zurück nach Berlin. Genug der guten Luft hier?

Ein deutlicher Nachteil ist, dass jeder automatisch denkt man lebt in der Schweiz, weil man zu viel Geld hat. Das ist bitter, wenn es nicht stimmt.

Mit „Herero“ hast du einen Roman über den deutschen Kolonialkrieg in Südwestafrika geschrieben. Was hat dich an dem Thema so beeindruckt, dass ein 600 Seiten-Roman daraus wurde?

Zum einen ist Geschichte ohnehin mein Steckenpferd, und als ich für das Goethe-Institut in Namibia war, da wusste ich schon einiges über das Land. Vor Ort hat mich dann das schöne Land begeistert, die ungeheure Spannung, die sich aus der Suche nach deutschen Spuren ergab. Der momentane Häuptling der Hereros heißt aber halt „Alfons“. Das Land ist wie unser eigener Wilder Westen; mit dieser endlosen Illusion von Freiheit. Und wie bei den Indianern spielte sich auch die Kolonialzeit ab: Betrug, Planwagen, Rinderkrankheiten, Alkohol.

Warum die detailgetreue Darstellung der technischen Szenerie vor Ort, wie beispielsweise der damals benutzten Geschütze und Eisenbahnen?

Tatsächlich kann ich mich in die Zeit nur rein versetzen, wenn das Detailwissen stimmt. Der Traum würde zerplatzen, wenn ich nicht genau wüsste, was die Hereros damals anhatten, wie die Gewehre funktionierten und wie das Wetter war.

Diese Tiefenschärfe wendest du auf die Menschen nicht an. Warum nicht?

Da will ich dem Leser mehr Spielraum lassen. Die Historie ist vorgegeben und die will ich möglichst genau schildern.

Kurz gehalten ist auch die Beschreibung über Dagga, den Hanf. Wie ist es heute in Namibia, wie gegenwärtig ist Dagga?
Haschisch!© Nachtschattenverlag
Es ist zwar verboten, aber man kriegt es und man raucht es. Durch die Wasserarmut ist Gras aber relativ selten. Aus den fruchtbareren Nachbarländern wird etwas Dagga importiert, während Haschisch so gut wie unbekannt ist. Dass ich es im Buch erwähne kommt daher, weil es mir im Laufe der Recherche aufgefallen ist, dass Hanf damals etwas ganz Normales war. Die Nil-Zigaretten hatten damals einen Anteil von 15-25% ungarischem Hanf und die ehemaligen Hottentotten und Buschleute haben es sowieso geraucht.

Und das spätere Verbot kann durchaus als Teil einer rassistischen Politik verstanden werden.

Das machen sie eben überall auf der Welt. Das ist eine Parallele zur Unterdrückung und Lächerlichmachung ethnischer Religionen und Gebräuche. Da wird alles genutzt, was der Zerstörung der urspünglichen Identität dient. Das Kiffen wird ebenfalls nicht ohne Grund verfolgt wie verrückt. Diese ungerechtfertigten Verbote grenzen für mich an Faschischmus.

 

War das ein Grund für deine Auswanderung von Deutschland in die Schweiz?

Ich rauche jetzt seit 35 Jahren und irgendwie habe ich mich an den illegalen Zustand gewöhnt. Ich renne nicht mit Riesentüten auf der Straße rum und habe bisher auch keine Probleme bekommen. Aber die Schweizer haben gutes Gras, stimmt.

Du sitzt bereits an deinem neuen Roman, er handelt in der Zeit des Boxeraufstands in China.

Ja, und wiederum ist es eine anstrengende, aber spannenden Recherchearbeit.

Ist der Boxeraufstand tatsächlich ein Resultat der Opiumkriege im ausgehenden 19. Jahrhundert, die Großbritannien mit China führte, um das Land weiterhin zur Einfuhr von Opium zu zwingen?

Nur zum Teil. China war für die „Westmächte“ ein riesiger Markt, voller Bodenschätze und militärisch schwach. Das galt es auszunützen. Die Boxerbewegung richtete sich ursprünglich gegen die herrschenden Mandschu, danach gegen die fremden Teufel, die als Ursache allen Unglücks angesehen wurden. Boxer war übrigens ein Spitznahme der Engländer für die Bewegung, die sich „Faustkämpfer für Gerechtigkeit“ nannte. Die beiden Opiumkriege hatten der chinesischen Führung die Überlegenheit Großbritanniens vorgeführt. Es ging darum, die Bevölkerung vor dem „Gift“ zu schützen. Da man gegen den mit Gewalt durchgesetzten britischen Import nicht ankam, versuchte man, selbst anzubauen, um die Kontrolle über den Verbrauch zu gewinnen. Gleichzeitig spaltete sich China in Traditionalisten, die von den Fremden nichts wissen wollten, und Modernisten, die der Ansicht waren, China müsse, ähnlich wie Japan, zu einer modernen Macht werden, um den aggressiven Kolonialmächten gewachsen zu sein. Diese Spaltung prägte auch den Bürgerkrieg während der sogenannten Boxerwirren.

Darf man schon mehr vom Inhalt des Romans wissen?

Eine Liebesgeschichte zwischen einer jungen deutschen Frau und einem Seeoffizier, vor dem Hintergrund der geschichtlichen Ereignisse in China, die ich sorgfältig recherchiere. Ein Teil spielt im von Deutschland besetzten Tsingtau, heute Qingdao, was ja eine Art deutsches Hongkong werden sollte. Die Deutschen haben dort ihre Aktivitäten damals anders organisiert als ein Jahrzehnt zuvor in Afrika. Gründliche Ausbeutung: ja, aber mit weniger Gewalt. Es wurden sogar Krankenhäuser und eine deutsch-chinesische Universität gebaut. Das Paar gerät dann in die Wirren des Boxeraufstands in Peking und die 55-tägige Belagerung der Gesandtschaften. Schon das ist spannend, mehr noch, weil das ja von den beteiligten Mächten zum Anlass genommen wurde, sich riesige Happen aus dem chinesischen Kuchen rauszusäbeln. Gleichzeitig war es der ersten große internationale Einsatz auf der Welt, bei welchem sich Nationen zusammen geschlossen hatten, um ein Ziel zu verfolgen. Es ging um die Sicherung wirtschaftlicher Interessen, wie man gewalttätigen Imperialismus damals wie heute nannte und nennt.

Wie näherst du dich der Denkweise der Deutschen von damals an?

Liest man Reiseberichte aus der Zeit um 1900, fällt einem schon die Überheblichkeit der Deutschen, Engländer, Franzosen etc. auf. Trotzdem nähere ich mich ihnen neutral. Man kann sich nicht hinstellen und sagen: „Ihr ward Arschlöcher“. Sind sie vielleicht von unserem heutigen Standpunkt aus, klar, aber wenn man als Autor so denkt, dann versteht man sie, und damit die Geschichte nicht. Sie haben halt geglaubt es richtig zu machen, nicht anders als wir heute.

Woher diese Lust am Schreiben und die Abkehr von den Comics?

Zum einen habe ich das Medium Comics sehr lange ausgeschöpft und nie genug damit verdient. Zum anderen ist es eine Herausforderung für mich eine Geschichte ohne Bilder zu beschreiben. Aus meiner Sicht gebe ich dem Leser einen größeren Freiraum für die Fantasie, wenn ich ihm kein fertiges Bild vorgebe.

 

Die wichtigsten Werke aus der Seyfried-Biographie

Verdammte Deutsche, Albrecht Knaus Verlag, München 2012

Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer, Eichborn, Berlin 2008

Seyfried & Ziska: Die Comics. Alle! Zweitausendeins. Frankfurt a.M. 2007

Herero, Eichborn Berlin 2003 Der schwarze Stern der Tupamaros, Eichborn Berlin 2004

Wo Soll Das Alles Enden, Rotbuch-Verlag Berlin 1978

Flucht aus Berlin, Rotbuch-Verlag Berlin 1990

Seyfrieds Cannabis Collection, Nachtschatten Verlag Solothurn 2003

Comic-Alben mit Ziska Riemann:

Future Subjunkies, Rotbuch-Verlag Berlin 1991

Space Bastards, Rotbuch-Verlag Berlin 1993