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Marihuana Mythen 15: „Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung“

Marihuana Mythen

Teil XV

Unsere Serie ist außer Atem, ja, sogar am Ende. Wir haben viel gegeben, haben Zahlen und Fakten gesammelt, Tabellen erstellt, Vergleiche gezogen und das Alles, um den weit verbreiteten Unwahrheiten über den Hanf Einhalt zu gebieten. Vorangetrieben von der Hoffnung, daß in Zeiten (post)moderner Beliebigkeit die Suche nach dem wahren Cannabis überhaupt Sinn macht. Der letzte Teil gibt sich locker, auf intellektuelle Weise konfus, fasst noch einmal die wichtigsten Ergebnisse über die Wirkungen des Rauschhanf auf die Körper-Geist-Einheit zusammen und wagt einen Ausblick.

„Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung“

Die Mythe, eine altüberlieferte Erzählung, soll in bildhaft-anschaulicher Sprache ein vergangenes Ereignis vergegenwärtigen. Ursprünglich ging es um Geschichten aus einer Zeit, in der Götter und Dämonen regierten, kurz, die Welt noch beseelt war. Die Aufklärung und später die Wissenschaft drängten diesen Komplex in den Bereich des Unbewußten, denn die Welt besitzt keine Seele, meint man. An dieser Stelle könnte ein philosophischer Diskurs ansetzen, aber das würde zu weit führen. Der Ausdruck „Marihuana-Mythen“ soll indes zeigen, daß trotz eines wissenschaftlichen Mäntelchens wissentlich oder unwissentlich Lügen über den Hanf verbreiten wurden und werden.

Gleich die erste Folge nahm sich einen Mythos zur Brust, der in vielen Köpfen herumschwirrt: Die Annahme, daß sich der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen stetig erhöht hat. Wir mußten zeigen, daß in der westlichen Hemisphäre der Gebrauch von Rauschhanf über die Jahrzehnte relativ stabil geblieben ist. Er ist zwar gewissen Schwankungen unterworfen, diese sind aber eher durch Veränderungen in der Jugendkultur, als denn durch eine liberale oder restriktive Drogenpolitik zu erklären (HB 23/96). Eine der nächsten Folgen wies nach, daß Hanf durchaus als Medizin genutzt werden kann, es sogar diverse wissenschaftlich fundierte Einsatzgebiete gibt (HB 25/96).

„Marihuana schädigt die Lungen„, nannte sich der vierte Mythos. Klar, rauchen ist immer Gift für unser Atmungsorgan, das steht nunmal fest. Regelmäßige Kiffer leiden öfter als Nichtraucher an chronischen Husten und chronischer Schleimentwicklung. Mischt frau den Hanf zudem mit Tabak, erhöht sich die Risiko einer Krebserkrankung enorm. Die Forschungen auf dem Gebiet laufen, die Liebhaber des Rauchens sollten aber gewarnt sein. Ob Cannabis das Immunsystem insgesamt angreift, bleibt umstritten. Die Ergebnisse der frühen Untersuchungen wurden in den achtziger und neunziger Jahren wiederholt und oft verworfen. Hier darf –wie so oft- kein Kausalzusammenhang gezogen werden: Sportliche Menschen mit gesunder Ernährung und einen ausgeglichenem Seelenleben dürfte weitaus weniger schnell krank werden als der faule, fette Fernsehhänger. Die sexuelle Fortpflanzungsfähigkeit von Mann und Frau wird kaum beeinträchtigt: Zwar hat Marihuana leicht unterdrückende Auswirkungen auf die Spermaproduktion, diese ist aber reversibel. Die Damen der Schöpfung stört der Genuß nicht in ihrer Fruchtbarkeit, wohl aber in das Genießen ihrer Schwangerschaft. Wissenschaftler raten zu einer gewissen Prüderie gegenüber Cannabis in den berühmten neun Monaten, denn die Ergebnisse sind zu widersprüchlich. Was der Hanf im Hirn anstellt, darüber läßt sich trefflich streiten. Die Grenze zwischen Psyche und Physis ist gerade hier schwer zu ziehen, somatische Veränderungen wurden aber selten nachgewiesen. Berücksichtigt man die neurochemischen Daten von Tierversuchen, klinischen Fallstudien, empirischen Erhebungen, kontrollierten Laborstudien und Feldversuchen kann gesagt werden, daß Beeinträchtigungen des Hirns zwar möglich sind, bei einem kontrollierten Umgang aber äußerst unwahrscheinlich. Der überwiegende Teil der Erhebungen der Kiffer und Abs tinenzler beäugte, fand keine Unterschiede in den kognitiven oder intellektuellen Funktionen.

Erich Hesse schrieb 1966: „Die regelmäßige Aufnahme des Gifts (Haschisch) führt zur Sucht und auf Dauer zu schweren psychischen Schäden. Daueraufenthalt im Irrenhaus ist das Ende.“ Noch immer hält sich der Mythos von Cannabis als Suchtdroge. Das HanfBlatt bezog in Ausgabe 32/97 Stellung und verwahrte sich gegen die Sündenbockfunktion einer Substanz. Dosierung der Droge, Anforderungen des Berufs, soziales Umfeld und die persönliche Struktur des Konsumenten sind ausschlaggebend für die Wanderung auf dem Grad zwischen Gebrauch und Mißbrauch. Ziellosigkeit und Lethargie sind allen Kiffern bekannte Phänomene nach einer durchqualmten Nacht, daraus aber ein allgemeines „Amotivationssyndrom“ stricken zu wollen, ging uns entschieden zu weit. Interessant ist, daß die großen Feldstudien in Costa Rica, Griechenland und Jamaika keine Beweise für dieses Syndrom fanden. Vor allem junge Menschen sind dann gefährdet, wenn sich der Hauptaugenmerk ihres Lebens einer Droge zuwendet. Zur Theorie der „Einstiegsdroge“ habe wir in Ausgabe 36/97 einige Worte verloren, einer Theorie, die in der Riege der internationalen Wissenschaftler (so wie der Flash-Back) keine ernst zu nehmende Unterstützung mehr findet. Es steht fest: Es sind eher drogenunabhängige Einflüsse, die eine „Umsteigen“ hemmen oder fördern. Von den Niederlanden kann die deutsche Republik in jedem Falle lernen, dort ist eine Trennung der Märkte in „weiche“ und „harte“ Drogen weitgehend gelungen und mehr Menschen kiffen im Nachbarland -trotz einer quasi-Legalisierung- auch nicht.

So, daß war´s. Aber weit gefehlt, denn noch immer forscht die Wissenschaft auf der ganzen Welt nach dem wahren Wesen der Cannabis-Pflanze und ihrer Wirkstoffe. Cannabis verspricht in der Zukunft Linderung für AIDS- und Krebskranke zu bringen, aber auch als Seelenbalsam ohne ärztliche Verschreibung nimmt es immer mehr seinen Platz in einer gestreßten Gesellschaft ein. Schnelllebigkeit und Informations-Overdrive zeichnen die gegenwärtige Epoche aus, der Genuß von Hanf dürfte als beliebte Zeitbremse seinen Platz bei jungen wie alten Menschen behalten beziehungsweise neu finden. Angesichts der neuen Ergebnisse rund um die Wirkung von Cannabis, stellt sich die Frage, was zuerst da war: Die wissenschaftlich fundierte Erkenntnis, daß der mäßige Konsum annähernd frei von Schäden ist, oder eine sozial, kulturell und politisch veränderte Stimmung gegenüber dem Hanf. Denn eines haben die fünfzehn Folgen der „Marihuana-Mythen“ gezeigt: Voraussetzung für Wissenschaft ist eine Idee, wie ein Zusammenhang aussehen könnte. Und diese Idee prägt das Design jeder Forschung maßgeblich vor (von dem persönlichen Hintergrund des Forschers mal ganz abgesehen). Dies heißt nun nicht, daß die „Wahrheit“ der Beliebigkeit des Forschers weichen muß, sondern nur, daß alle Ergebnisse nicht im luftleeren Raum stehen, demnach vor ihrem Hintergrund betrachtet werden müssen. Auf diese Serie selbst angewandt heißt dies, daß die Forderung nach der Legalisierung aller Hanfprodukte Teil ihrer ideologische Basis war. Trotzdem wurde versucht, nicht die Augen vor der möglichen Schädlichkeit zu verschließen und sei es nur mit dem paracelsischen Gemeinplatz, daß die Dosis die Giftigkeit bestimmt.

Alte Mythen werden aufgelöst, neue Mythen entstehen. Um eine so berauschende Pflanze wie den Hanf werden sich immer Ungereimtheiten ranken. Der Wissenschaft obliegt es, ein solides Fundament für die Beurteilung von Cannabis zu schaffen und so damit beizutragen, dem einzelnen Hanfliebhaber einen der Gesundheit nicht abträglichen Genuß zu ermöglichen. Die Jugend mißachtet schon lange eine in den meisten Ländern verfehlte Cannabispolitik. Und erst nachdem Schmerzpatienten vermehrt zu Cannabis griffen, um Linderung zu erfahren, forschte die Wissenschaft nach den Ursachen für die lange ignorierten Wirkungen der Heilpflanze. Die beiden Beispiele zeigen: Die Forschung wird auch in Zukunft durch die Erfahrungen des Konsumenten einerseits relativiert, andererseits aber auch genährt. Das HanfBlatt wird den Fortgang weiterhin teilnehmend beobachten.

Jörg Auf dem Hövel

 

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Nana Nauwald

HanfBlatt, Nr. 82, März 2003

Schamanismus-Expertin und Künstlerin Nana Nauwald im Interview

Vom Wandeln zwischen den Welten

Ihre über 20jährige Erfahrung im Schamanismus indigener Kulturen, besonders ihre Exkursionen zu Schamanen des Amazonasgebiets und Nepals haben die Künstlerin Nana Nauwald zu einer Expertin für Schamanismus und Anderswelten gemacht. Einer der wichtigsten Gründe für ihre Aufenthalte in Gemeinschaften dieser Kulturen ist, dort zu lernen wie wir in unserem Kulturkreis die Wurzeln des „alten Wissens“ wiederfinden und beleben können. Es ist ein kühler, feuchter Novembertag, als wir die Künstlerin in ihrem Haus in der Lüneburger Heide besuchen. Schon im Garten stehen afrikanische Statuen, Stelen aus Knochen, liegen Steinhaufen absichtsvoll herum, wickelt sich eine Steinspirale auf, sprießen Federn wie Pflanzen aus dem Boden. Schalen und Abalonemuscheln mit Resten von Nüssen und Körnern erzählen von Speiseopfern an die Geister. Das Atelier wirkt geradezu wie von den kraftvollen Farben ihrer Bilder erleuchtet. Angst vor Farbe hat Nana Nauwald, 55, auf jeden Fall nicht.

Nana NauwaldHanfBlatt
„Schamanismus“, damit verbinden viele die auf Messen und Wochenendseminaren angebotenen Kurse, in denen man innerhalb von drei Tagen zum Schamanen wird.

Nana Nauwald
Der Jahrmarkt der Seminar-Eitelkeiten macht auch vor der Vermarktung des Schamanen-Begriffs nicht halt. Schamanismus ist eine immer noch lebendige Art, die Welt zu sehen – eine Erfahrungswissenschaft, nichts, was sich durch Seminar erlernen lässt. Nichts, wozu man sich in Kursen ausbilden lassen kann. Hätten all die, die sich bei uns selbstgefällig mit dem Titel „Schamane“ oder „Schamanin“ schmücken, jemals längere Zeit bei Schamanen in deren in der schamanischen Weltsicht lebenden Gemeinschaften verbracht – sie würden sich schon aus Respekt vor der Arbeit eines wirklichen Schamanen nicht mehr diese Bezeichnung anmaßen. Es gibt auch in unserem Kulturkreis viele Menschen, die integer als Heilerinnen und Heiler arbeiten – ohne sich mit fremden Federn und Mänteln der Macht zu schmücken. Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer ständigen Gier nach etwas Neuem, dem ultimativen Thrill, der esoterischen Wunderkur mit persönlicher Schnell-Erleuchtung. Das finde ich manchmal fast lustig, weil das Neue fast immer das bewährte Alte ist – wie beim Schamanismus. Wir leben nicht nur in einer materiellen User-Mentalität, sondern auch in einer geistigen User-Mentalität.

Zum Glück hat jede modische Mentalitätserscheinung auch immer ein Gegengewicht…

Ja, dieses Gegengewicht wächst. Immer mehr Sucherinnen und Sucher nach den Spuren des alten schamanischen Wissens unseres Kulturraums machen sich auf den Weg, den Strand unter dem Pflaster wieder freizulegen. Dazu gehört, dass die heimische Pflanzenwelt mit ihrem Reichtum an heilenden und die Türen ins Feld des Bewusstseins öffnenden Pflanzen mehr und mehr Beachtung findet. Neue Rituale zum Betreten des Bewusstseinsfeldes, der Anderswelt, sind bei uns entstanden und entstehen weiter neu. Rituale, in denen die entheogen wirkenden Pflanzen mit Respekt behandelt werden und aus der „fun-user“ Haltung eine geistige Haltung wird mit der Absicht, Erkenntnis zu erlangen. Schamanen aus schamanischen lebendigen, indigenen Kulturen lehren uns in diesem Punkt, was zweifelsfrei auch unsere Schamanen und Heiler der vorchristlichen Zeit wussten: entscheidend für die Wirkung alle heilerischen Handlungen und das Erfahren in nicht-alltäglichen Bewusstseinszuständen ist die innere geistige Haltung und die Absicht des Handelns.

Zur Zeit hat der Schamanismus aus dem Gebiet des Amazonas bei den Drogisten und Esoterikern dem Schamanismus Nordamerikas den Rang abgelaufen…

Ein Grund liegt sicherlich darin, dass in den meisten Kulturen Amazoniens mit einem stark entheogen wirkenden Trank gearbeitet wird: Ayahuasca. Liane der Seele, Liane des Todes sind nur zwei ihrer vielen Umschreibungen, die etwas von ihrer Wirkung ahnen lassen. Ayahuasca, gebraut aus zwei Grundstoffen: der Liane Ayahuasca und den Blättern des Chacruna-Strauches. Die Schamanen dort arbeiten in ihren Nachtritualen mit „dem Geist der Mutter des Ayahuasca“ um die Ursachen für Krankheiten und Störungen zu sehen, um in die Welt der Geister und Ahnen zu gehen, zur Heilung und Stärkung des Einzelnen und der Gemeinschaft. Selbst für veränderungserfahrende Besucher aus dem Westen ist die Bilderwelt bei der Einnahme von Ayahuasca überwältigend. Die Schamanen am Amazonas sagen oft von den Weißen, sie würden nur kommen um Dschungelkino zu sehen. Wer mehr will als bunte Bilder, wer die Welt des Geistes der Ayahuasca betreten will, der muss sich auf einen Lernweg einlassen, der nicht mit einigen nächtlichen Sitzungen abgeschlossen ist. Ayahuasca ist nicht mein Weg, bei meinen Erfahrungen, meinem Lernweg und meinen Forschungen könnte ich gut und gerne auf diesen mächtigen Trank verzichten. Jedes Mal, wenn ich es trinke, breche ich fast bis zur Bewusstlosigkeit. Trotzdem, die Erfahrung des Geistes von Ayahuasca hat meinen Magen geheilt und mein geistiges Leben nachhaltig verändert.

Mittlerweile kann man auch in Europa ohne Schamanen an Ritualen teilnehmen, bei denen Ayahuasca getrunken wird.

Die Rituale stehen und fallen mit der Person, die sie leitet und die in der Geisteswelt des Ayahuasca mehr als nur ein Besucher sein sollte. Meine Erfahrung ist, dass sich der Geist einer Pflanze nicht in eine Flasche stecken lässt. Dieser Geist ist kulturgebunden, lässt sich nicht manipulieren und als Instant-Geist am anderen Ende der Welt wieder zu dem ihm eigenen wirkungsvollen Einsatz bringen. Ich weiss, dass im Rahmen der Drogisten-Szenerie auf der Suche nach immer neuen Türöffnern eine andere Meinung zu diesem Thema herrscht. Aber so sehe ich das. Der Teil der Wirklichkeit, der sich mit Ayahuasca erkennen und betreten lässt, kann ungeheuerlich in dem Erfahren sein und bedarf der Führung ortskundiger Menschen.

Individuell ist so eine Suche nach psychedelischen Erfahrungen aber doch legitim und begründbar.

Sicher, eine Suche nach Erfahrung bedarf keiner weiteren Legitimierung als den Wunsch nach Erfahrung. Erfahrung an sich besagt aber noch gar nichts. Wichtig ist, was wir aus der Erfahrung machen. Ich denke, es ist an der Zeit auch daran zu denken, dass wir durchaus auch eine Verantwortung haben im Gebrauch solcher Pflanzen aus indigenen Kulturen den Menschen dieser Kulturen gegenüber. Auch als bewusste Sucherinnen nach dem Wissen und der Erfahrung von Schamanen können wir mit dazu beitragen, dass die Wurzeln ihrer geistigen Kultur durch hungrige Westbesucher durchgetrennt werden. Die heilenden Rituale der Schamanen – gleich aus welcher Kultur – lassen sich nicht von uns imitieren, es sei denn, wir geben uns mit dem Schein der äusseren Form zufrieden. Aber wir können von diesen Schamanen lernen, unseren Blick so zu verändern, dass wir die Zugänge zu den schamanischen Wurzeln unseres Kulturraums erkennen. Dieser Zugang zu den uns umgebenden Kräften der Natur, zum Wissen der Alten, wurde nicht nur durch Jahrhunderte der gewaltsamen Christianisierung gekappt, sondern wurde auch im sogenannten Dritten Reich stark parteipolitisch manipuliert und missbraucht. Erst langsam ist es wieder möglich, die Zugänge zu der „Anderswelt“ unserer Ahnen zu betreten, ohne gleich in die rechte Ecke nationalistischer Naturanbeter zu geraten.

Wie können diese Zugänge freigelegt werden? Und wer leistet dies?

Hauptsächlich Frauen sind es, die behutsam wieder diese Zugänge freilegen. Kräuterkundige, Jahreskreis- und den Mond feiernde Frauen mit Freude an der lebendigen Welt der Wesen und Geister, mit viel Lust am irdischen Leben. Hier geht es mir nicht um einen feministischen Ansatz – ohne die männliche Energie ist keine Bewegung des Lebens möglich. Aber ich denke, dass wir Frauen einen leichteren Zugang zu den nicht-sichtbaren Welten haben, zu dem schöpferischen Potential der kreativen Lebensenergien. Das Thema „aus sich selbst schöpfen und in die Welt bringen“ ist das weibliche Grundthema. Außerdem sind Frauen geduldiger wenn es darum geht, etwas wachsen zu lassen – meistens jedenfalls. Meine Erfahrung ist, dass Frauen viel stärker durch Klang, Rhythmus und Bewegung die Türen zum geistigen Bewusstseinsfeld öffnen können als es Männern meist möglich ist. Männer brauchen häufig stärkere Türöffner.

Klar, spezielle Pflanzen lösen einen biochemischen Prozess aus, der zu einem intensiven Farb-und Bilderleben führt.

Will man aber mehr als das, will man dem Geist der Pflanze so begegnen, dass eine erkennende Erfahrung möglich ist, ist es angeraten das zu tun, was Schamanen im Umgang mit entheogenen Pflanzen tun: sie bereiten sich vor – innerlich und äusserlich. Macht man das in unserer Gesellschaft jedoch in einem ungeschützten Umfeld, ist es ein Leichtes, beim Psychiater zu landen. Wer mit Pflanzen redet, ihnen zuhört, der kann nur verrückt sein.

Wie also hört man zu, ohne verrückt zu werden?

Als erstes braucht man einen von störenden Außeneinwirkungen geschützten Platz. Empfehlenswert ist, vor der Begegnung mit der Pflanze etwas zu fasten – man wird dadurch feinsinniger. Manche setzen sich auch vorher in die Schwitzhütte oder vollziehen eine rituelle Reinigung durch Waschungen oder durch Räucherungen. Und dann braucht man möglichst viel Zeit – ohne eine Uhr in der Nähe. Es kann anfangs eine sehr ermüdende und entnervende Übung sein, vor einer Pflanze draußen in der Natur zu sitzen und nichts weiter zu tun, als die ganze Aufmerksamkeit auf sie zu richten und zu warten. Das funktioniert nicht nach dem Motto: „Ich, der große Krieger, nehme jetzt Kontakt auf“, sondern die Pflanze übernimmt den aktiven Part. Irgendwann macht sie sich bemerkbar, irgendwann nehme ich die Pflanze wahr in der ihr eigenen Wesensqualität. Wirklich wahrnehmen dessen, was ist, kann nur geschehen wenn mein Urteil und meine Interpretation ausgeschaltet sind. Das ist das schwerste an allen Übungen, die den Zustand einer veränderten Wahrnehmung als Erkenntnisprozess zum Ziel haben. Erkennen beinhaltet die Möglichkeit der Wahrnehmung durch alle Sinne. So kann es sein, dass ich die Wirkungsessenz einer Pflanze riechen kann, dass ich ihre Schwingung höre. Diese Art der Wahrnehmung kann machen, dass ich zu einem Teil der Pflanze werde, ihre Wirkungskraft körperlich spürbar erfahre, hinunter zu Ihren Wurzeln und bis in die letzte Blütenspitze klettern kann. Unsere heimatliche Flora ist immer noch voll von wissensdurchtränkten Pflanzen, Sträuchern und Bäumen. Efeu, Haselnussstrauch, Holunder, Wacholder, Eibe – zum Glück füllt altes und neues Wissem um ihr Wesen und ihre Wirkung schon wieder so einige Bücher und Köpfe. Wichtig ist nur, bereit zu sein, alte Denk- und Erfahrungsmuster beiseite zu schieben und immer wieder neu zu „sehen“ und zu „hören“. Fragt man Leute nach ihren Erfahrungen auf der Sinnesebene nach so einer Begegnung, erhält man oft erstaunlich genaue Antworten in bezug auf die durch die Sinne erfahrenen Qualitäten einer Pfl anze. Und ich denke, so viel anders haben das die Seherinnen und Hexen früher auch nicht gemacht.

Das angesprochene Potential von Pflanzen ist weithin unbekannt. Nur bei denjenigen, die mit diesen Welten -meist durch hedonistisch motivierten Zufall- in Berührung gekommen sind, besteht der Drang nach Aufhellung und Einordnung der psychedelischen Erfahrung. „Was ist hinter meiner Alltagserfahrung?“, so könnte man die dahinter stehende Frage formulieren. Ist das deine Frage?

Ja, der Antrieb zur Suche nach der Welt hinter der Welt muss ein Hunger nach Erkenntnis zugrunde liegen, eine Ahnung davon dass die Materie, die ich berühren und sehen kann, nicht alles ist. Oder wie Tolkien sagte:
Es wartet vielleicht um die Ecke / Ein Tor, ein Durchschlupf in der Hecke / So oft ging ich daran vorbei / Doch kommt der Tag da geh ich frei / Den Weg der ins Geheimnis führt / Wo West die Sonne Ost den Mond berührt

Und hinter der Hecke, was wartet dort?

Na, die Teile der Wirklichkeit, die ich mit meinem „Normalfilter“ nicht wahrnehmen kann! Meiner Meinung nach gibt es zwar nur eine Wirklichkeit, aber darin sind viele Räume. Die Erkundung dieser Räume sollte mit dem Wissen um die Verantwortung verbunden sein, die ich beim willentlichen Betreten dieser Räume trage.

Warum?

Ich sehe das so: Wenn tatsächlich ein Bewusstseinsraum existiert, in dem alle Information zeitunabhängig gespeichert ist und sich immer wieder neu kreiert, dann hinterlässt jeder, der diese Räume betritt, auch seine Informationsspuren. Es geht meiner Ansicht nach bei der absichtsvollen Erfahrung des Raumes der Wirklichkeit, des Bewusstseinsfeldes, um mehr als um persönliches Erleben, es geht um die Erfahrung, in welchem Kontext ich in dieses Bewusstseinsfeld gehöre. Wenn ich diesen Kontext erkannt habe, sozusagen meinen Ton im großen Orchester, dann hat das auch Auswirkungen auf mein Leben in der sogenannten „normalen“ Wirklichkeit.

Ein großer Teil unserer Gesellschaft lebt ja dagegen zwanghaft an und ist an einem materiell ausgerichteten Rationalismus orientiert. Anhänger von Religionen wie Christentum glauben daran, dass es ausreicht sich im Wesentlichen ein paar neurotischen Richtlinien zu unterwerfen, um nach dem Tod die Glückseligkeit zu erreichen.

Richtig, das Erfahren der durch Menschen nicht regulierbaren Welten des Bewusstsein, des Feldes der Information, der Kreativität ist in der Glaubenswelt der sogenannten durch Regeln bestimmten Schriftreligionen nicht vorgesehen. Da herrscht das Prinzip des Glaubens. Eigene Erfahrung macht Menschen schwerer beherrschbar, denn die Erfahrung der Bewusstseinswelten kann die Menschen ja in einen Zustand vom Gefühl der eigenen Vollkommenheit und Aufgehobenheit in einem schöpferischen Urgrund führen, auf den ordnende weltliche Mächte keinen Einfluss haben. Die Extase ist verbannt, macht Angst, gehört in den Bereich unwünschenswerter Phänomene. Zur größten Not muss sie ausgetrieben werden. Dabei wäre ein gesellschaftlich erwünschtes und integriertes Erfahren von Ekstase vor allem für junge Menschen die Stärkung ihrer Lebenskraft, aus der heraus sich selbst bewusste Menschen in die Anforderungen eines Erwachsenenalltags hinein wachsen könnten. In den schamanischen Kulturen gibt es Experten, die jungen Menschen beim Erleben von Ekstase und bei den Reisen in die Wirklichkeit helfen.

Nana Nauwald: Der Schamane (90x70 cm)
Nana Nauwald: Der Schamane (90×70 cm)

Experten geben den entsprechenden geistigen Erfahrungen auch manchmal eine sichtbare oder hörbare Form – Klang, Tanz, Skulptur oder Malerei.

Wenn du damit auf meine Malerei anspielst, dann ist es mir zunächst wichtig zu betonen, dass ich nicht male, was ich in den Feldern des Bewusstseins sehe. Das ist gar nicht möglich, solche Farben gibt es als vermalbare Materie gar nicht. Wenn ich male, webe ich auf meine Art den Geschmack einer Energie oder eines Fadens aus diesem Bewusstseinsfeld hier in der Alltagsrealität ein. Ebensogut könnte ich diese Energie auch singen – wenn ich gut genug singen könnte. Zu malen ist mein Weg, die Verbindung zwischen den Welten, den Wirklichkeiten sichtbar zu machen. Wenn ich male, bin ich Ganz, fühle ich mich manchmal für den Bruchteil von Zeit vollkommen. Meine Sehnsucht, die mich seit zwei Jahrzehnten immer neu antreibt zu durchaus unbequemen äußeren und inneren Reisen ist die, diese Verbundenheit aller Lebensenergien in allen Formen zu erfahren. Gesättigt wurde dieser Hunger bisher hauptsächlich da, wo ein Leben in enger Verbindung mit der Natur und einem geistigen Feld geschieht. Die Erfahrung des Seins in diesem nicht immer wahrnehmbaren und trotzdem wirklichen Bewusstseinsfeld hat nichts zu tun mit Visionen oder Halluzinationen. Meine Erfahrungen mit dem Betreten des Bewusstseinsfeldes mit Hilfe unterschiedlicher Techniken haben mein Leben grundlegend verändert, denn ich habe die ungeteilte Wirklichkeit erfahren.

Heisst die Zukunft zurück zum Einfachen, weil es uns so selten enttäuscht?

Ein alter Mann am Ucayalli sagte mir einmal: „Sieh dich um, wir sind sehr arm hier. Wir haben nichts ausser unserem Leben und die Freude am Leben.“ Einfach, nicht? Und oft wie schwer zu leben. Diese Haltung hat für mich sehr viel mit den Grundpfeilern des Schamanismus zu tun: Freude und Lust am Leben. Und ein anderer Pfeiler ist das Wissen, dass zwar jeder Mensch ein ganz eigener Punkt im kosmischen Netzwerk ist, aber in seiner Individualität gelichzeitig immer mit dem ganzen Netz verbunden ist. Alles existiert nur, weil es im Zusammenhang mit allem steht. Bei uns im Westen achten wir immer sehr darauf, dass man als „Punkt“ der wichtigste Punkt von allen ist, mein Wohlergehen immer an erster Stelle steht. Nur – anders gesehen – wie kann ein einzelner Punkt gesund sein, wenn das ganze Gewebe um ihn herum krank ist? Schamanismus beinhaltet auch das Wissen, dass die Gemeinschaft so gesund oder krank ist wie ihr schwächstes Glied. Nicht verwoben zu sein macht krank. Auch in unserer nicht-schamanischen Gesellschaft gibt es Ansätze von Wegen, sich neu miteinander zu „verweben“. Dazu gehören sicherlich die immer mehr zelebrierten Feste des Jahreskreises, rituelle Kreise zum gemeinsamen Erfahren entheogener Pflanzen, Mondfeste und alle Spielarten der Techniken aus verschiedenen schamanischen Kulturen, die das Beleben unseres alten, in unserem Kulturraum verwurzelten Wissens haben. Schwer ist immer nur der Schritt, diese besonderen Rituale in einer Gemeinschaft mit den Bedingungen unserer Arbeitswelt und den in ihr herrschenden Umgangsformen zu verbinden. Diese Art der Rituale tragen eine explosive, klärende Sprengkraft in sich, die fast immer auch klärend auf die Gestaltung des eigenen Lebensfeldes wirkt. Nur ein Benutzen entheogener Pflanzen ohne den Hintergrund einer geistigen Absicht kann durchaus Spaß machen, hat auf längere Zeit gesehen aber fast immer die Wirkung, den Menschen nicht in die Erfahrung der Ganzheit, sondern in die Zerrissenheit und Entwurzelung zu führen. Um zu lernen, die Welten in uns und ausser uns mit Hilfe von Trancezuständen, entheogenen Pflanzen oder anderen Türöffnern in einen harmonischen Zusammenhang zu bringen, braucht es rituelle Schutzräume.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Nana Nauwald
Nana Nauwald

Zur Person: Nana Nauwald
Ursprünglich als Kirchenmalerin und Restauratorin tätig, verschrieb sich Nana Nauwald 1991 der „visionären Kunst“. Diese veranschaulicht die Vernetzung der geistigen Welten und die Verbindungen von unterschiedlichen Lebensformen. Immer wieder ist Nauwalds Motiv zu erkennen, jedes „Lebewesen“ als das Ganze und ein Teil des Ganzen zur gleichen Zeit darzustellen. Ihre Gemälde sind unter www.visionary-art.de zu sehen. Die Bilder „Amazon Dancing“ und „Der Schamane“ sind als signierte, handabgezogene Siebdrucke erhältlich.

Literatur
Nana Nauwald: Bärenkraft und Jaguarmedizin. Die bewusstseinsöffnenden Techniken der Schamanen.
Nana Nauwald: Der Gesang des schwarzen Jaguars. Mein Leben bei den Schamanen des Amazonas.“