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Öffentlicher Raum und Shopping-Malls

Öffentlicher Raum telepolis Auf dem Hövel Shopping-Malls /

telepolis, 28.11.2003

Auf dem Weg in die privat organisierte Öffentlichkeit?

Shopping-Malls werden zu neuen Mittelpunkten des sozialen Lebens. Über die Auswirkungen auf den öffentlichen Raum wird gestritten.

Klagen über die Entwicklung des für jedermann öffentliches Raumes, vor allem aber Kritik an der Expansion der Shopping-Malls sind unter Stadtplanern, Soziologen und Sozialpolitikern weit verbreitet. Zwei Vorwürfe werden formuliert: Der öffentliche Raum würde zunehmend für kurzzeitige Inszenierungen genutzt. Diese „Events“ wären ein Zeichen einer alles durchdringenden Kommerzialisierung, die nur noch Zeichen statt Inhalte setzt. Damit einhergehend würde der frei zugängliche Raum durch die Expansion der Shopping Malls verkleinert und die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Über Beobachtungen des Einzelfalls kamen diese Analysen aber nie hinaus. Eine vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung ( BBR [1]) in Auftrag gegebene Studie suchte nun genauer zu ermitteln, ob und wie der öffentliche Raum Tendenzen der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung unterliegt. 

Der Verkauf von öffentlichem Grund an private Unternehmen stellt nach wie vor eine Ausnahme dar. „Privatisierung“ meint vielmehr, dass private Räume wie Malls und Passagen zunehmend Funktionen des öffentlichen Raumes übernehmen. Diese Tendenz ist unter den vom BBR befragten Experten in den Städten und Gemeinden unstrittig. Strittig hingegen sind die Folgen. Während auf der einen Seite behauptet wird, dass privat geplante Räume Qualitätsstandards setzen und Denkanstöße geben können, sieht die andere Seite mehr Nachteile: Das Kernstück des öffentlichen Raumes, seine freie Zugänglichkeit für jeden zu jederzeit, sei in diesen Passagen und Malls nicht gegeben.

Mit 74 innerstädtischen Shopping-Centern ist die Firma ECE [2] Marktführer in Europa. Insgesamt verwaltet die ECE zwei Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche. In Wolfsburg beispielsweise bietet die „City-Gallerie“ auf 25.000 qm etwa 90 Läden, die täglich von 80.000, am Wochenende sogar von bis zu 150.000 Menschen frequentiert wird. Rechnet man dies auf die gesamten Liegenschaften von ECE hoch, wandeln täglich Millionen Menschen unter dem Hausrecht der ECE – die meisten Besucher mit dem Gefühl, sich im öffentlichen Raum zu bewegen.

Beliebtes Beispiel der Kritiker der Durchmengung von öffentlichem und privatem Raum ist das Sony-Center [3] am Potsdamer Platz in Berlin. Das Hausrecht des Centers verbietet das Verteilen von politischen oder Werbematerial. Sogar das Sammeln von Spenden ist karikativen Organisationen nur nach schriftlicher Genehmigung gestattet. Statt einem Markenzeichen für die Stadt sei „eher eine Corporate Identity für die Investoren“ entstanden, wie der Publizist Uwe Rada annimmt [4].

In den Hauptbahnhöfen der großen Städte übernehmen ebenfalls Center-Manager die Regie. Mit durchaus gravierenden Folgen. In Hannover dürfen die Anbieter der Zeitung „Asphalt“, einem Obdachlosenprojekt, ihre Zeitungen nicht mehr im Bahnhof verkaufen. Von den Passanten unbemerkt findet hier nach Aussage von Walter Lampe, Leiter des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Hannover, eine „Selektion der Nutzer zuungunsten der Schwachen“ statt.

Aus den Website Nutzungsbedingungen des SONY-Center:
HYPERTEXT-LINKS ZU UND VON DIESER WEBSITE
Sie sind verpflichtet, die schriftliche Genehmigung des Betreibers dieser Website zu beantragen und einzuholen, bevor Sie ein Link zu ihr herstellen können. Sog. „Deep Linking“ ist streng untersagt. Alle Links zu dieser Website müssen zur Startseite der Website führen, sie müssen verdeutlichen, dass diese Website und der Website-Content von der Website, welchen den Link enthält, getrennt zu betrachten sind, und sie müssen weiterhin verdeutlichen, dass Sony der Eigentümer und/oder Betreiber dieser Website ist.
Auch was die Öffentlichkeit des virtuellen Raums betrifft, ist man beim Sony-Center streng

Die Malls treten in Deutschland und Europa immer offensichtlicher in Konkurrenz zu den in die Jahre gekommenen Fußgängerzonen. Dies wird in Hamburg-Altona exemplarisch deutlich. Während westlich des Bahnhofs die Shopping-Mall Mercado [5] seit Jahren mit Besucherrekorden glänzt, versinkt die Fußgängerzone östlich des Bahnhofs trotz diverser Reanimierungsversuche in der Tristesse. Hier die saubere, kontrollierte Atmosphäre des urbanen Entertainment, dort ein Sammelpunkt für Mitmenschen, die ihr erstes Bier gerne vor 10 Uhr morgens trinken. Die Diskussion ist alt: Von vielen werden Obdachlose und Bettler als mindestens störend, wenn nicht gar bedrohlich empfunden. Andere sind sich dagegen sicher, dass diese Gruppen unabdingbar zum Bild des öffentlichen Raumes gehören, wenn er denn weiter „öffentlich“ genannt werden soll.

In den Carées und Centern herrschen dagegen nahezu paradiesische Zustände. Keine Punks, keine Prospektverteiler, kein Schmutz, kein Regen. Aber eben auch keine politische Meinungsäußerung. So verbot das Management in einem Erfurter Einkaufszentrum Gewerkschaftsmitgliedern das Verteilen von Handzetteln. Es kam zu Handgreiflichkeiten mit dem Sicherheitspersonal, ein Verfahren ist anhängig.

Aus Sicht des Managements deutscher Center sind, das wurde aus der Studie des BBR deutlich, politische oder persönliche Meinungsäußerungen nur bedingt möglich, um die „reibungslose Abwicklung der Geschäftsprozesse“ zu gewährleisten. Mit Randgruppen gäbe es kein Problem, weil diese sich durch das gehobene Niveau der Center ohnehin abgeschreckt fühlten. Die vom BBR befragten Betreiber von Shopping-Centern sehen ihre Malls ganz selbstverständlich als Teil des öffentlichen Raumes an.

In den USA wollen Bürgerrechtsgruppen und Politiker in einer Reihe Gerichtsverfahren ein Recht auf politische Betätigung in den Shopping-Centern einklagen. Ihr Argument: Die Malls wären Zentren des sozialen Lebens und wichtige Orte, um andere Bürger zu erreichen. In sechs Bundesstaaten folgten die Gerichte bisher dieser Argumentation.

In Deutschland richtet sich die Aufmerksamkeit erst langsam auf das Problemfeld. Die entpolitisierte Gesellschaft will sich nicht so recht an dem Problem reiben, hat der öffentliche Raum seine politische Funktion doch weitgehend verloren. Versammlungen finden heute eher im Zusammenhang mit Beachvolleyball-Turnieren und Konzerten statt. Die politische Meinungsbildung hat sich in die (virtuellen) Medien zurück gezogen, der Wochenmarkt in die geschlossenen Gebäude. Vordergründig hat das öffentliche Leben durch Mega-Malls keinen Schaden genommen. Es gibt genügend Trubel und Entertainment im urbanen Leben, die Städte werden durch Skateboarder genutzt, Innenstädte für Rollerskater-Aufläufe gesperrt. Für Essayisten wie Hanno Rauterberg steht sogar fest, dass „keine Demonstration wegen der neuen Einkaufszentren nicht hätte organisiert werden können“. Dies ist vielleicht wahr, von Demonstrationen in einem der neuen Einkaufszentren ist indes ebenfalls nichts bekannt.

 Markenbashing

Die Kritik reibt sich aber nicht nur an den modernen Konsumstätten, denen Uniformität und Monostruktur vorgeworfen werden, oder an der Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern sie zielt auf die gänzliche Durchdringung der Gesellschaft mit Werbung und deren Botschaften, an der aus dieser Sicht totalen Ausrichtung der öffentlichen Sphären nach wirtschaftlichen Bedürfnissen.

Nach der Lektüre von Naomi Kleins No Logo [6] scheint klar, dass auch in Deutschland die großen Marken das Bild der Welt prägen. Tatsächlich ist es heute kaum noch möglich durch die Straßen einer Stadt zu wandeln, ohne den omnipräsenten Werbebotschaften zu begegnen. Das Problem: Für die einen sind das die vielleicht nicht immer adretten, sicher aber notwendigen Partikel der „Marktwirtschaft“, für die anderen ist es die längste Manipulationspraline der „kapitalistischen“ oder „neoliberalen Welt“.

Widerstand regt sich. Bewegungen wie die lose organisierte Gruppe der Adbuster [7] karikierten die Symbole der Marken, andere suchen die Straße zurück zu erobern. Aber Reclaim the Streets [8] schaffte als primär britische Initiative den Sprung über den Kanal kaum [9]. Auf dem Kontinent wurde der Faden zur anarchischen Wiederaneignung öffentlicher Räume am ehesten noch von der Techno-Bewegung aufgenommen, die die industriellen „Nicht-Orte“ (Marc Augé) für ihre Tanzkultur entdeckten.

Soziales Durcheinander anstatt Ausgrenzung

Aber selbst wer sich nicht in die Diskussion um Wirtschaftssysteme verstricken will, dem fällt auf, dass aus dem früher eher als mühsames Tütengeschleppe verachteten Einkaufsvorgang ein weiteres „Event“ geworden ist. Ob das Shopping die „letzte verbliebende Form öffentlicher Betätigung“ sein könnte, wie Rem Koolhaas [10] überspitzt formulierte, sei dahingestellt, fest steht bislang, dass die Verbannung so genannter „Randgruppen“ nach dem Motto „Aus den Augen aus dem Sinn“ vor allem dort praktiziert wird, wo das Einkaufen weniger am Gebrauchswert als vielmehr am Erlebniswert orientiert ist. Diese Ausgrenzung, so stellte nun auch das BBR fest, wird aber nicht nur von privaten Geschäftsleuten betrieben, auch die Kommunen sind darum bemüht, die zentralen (Einkaufs-) Bereiche von Punks, Bettlern und Obdachlosen frei zu halten.

Was soll also, was kann der öffentliche Raum heute leisten? Schon die von Le Corbusier maßgeblich beeinflusste Charta von Athen [11] aus den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts legte die Trennung der verschiedenen Funktionsbereiche Arbeit, Wohnen, Freizeit und Verkehr fest. Diese Maxime galt lange als weltweites Dogma der Städteplanung. Der öffentliche Raum wurde zum Verkehrsraum degradiert, der primär der Verbindung der verstreuten Funktionsbereiche dient. Glaubt man den Apologeten der Stadterneuerung, leiden die urbanen Räume noch heute darunter.

Boris Podrecca, Professor für Raumgestaltung [12] an der Universität Stuttgart, nimmt an, dass die Gegebenheiten der modernen Gesellschaft mit ihrem Singletum, der steigenden Lebenserwartung, der Anpassung beider Geschlechter an den Arbeitsmarkt und dem inhaltslosen Medienschauspiel das Vagabundieren im städtischen Raum beeinflussen und zur Orientierungslosigkeit beitragen. Doch:

„Wir als Architekten können Gesellschaft kaum ändern, man kann ihr nur gute Passepartouts, in denen sich ihre Schicksalshaftigkeit und Dramaturgie abspielen, bieten. Man kann lediglich Hintergrund- und Rahmenhandlungen gestalten, wenn nötig auch in einer subversiven Einstellung dem Ist-Zustand gegenüber. Dem Architekten muss es genügen, dass Menschen in seinem Stadtraum die Zusammenhänge wahrnehmen und verstehen, auch wenn sie auf Widersprüchen beruhen.“

Einig sind sich die Experten über die Notwendigkeit der Durchmischung der Lebensstile. Je mehr soziales Durcheinander in den Straßen und auf den Plätzen herrscht, umso sicherer fühlten sich die Bürger und umso eher würde Akzeptanz trainiert. Ohne das idealisierte Bild der griechischen Agora herauf zu beschwören, dem Platz, auf dem alle friedlich diskutierten (außer Frauen und Sklaven), muss es ihrer Ansicht nach möglich sein, Räume zu schaffen, wo sich Menschen unterschiedlichster Prägung an einem lokalen Ort aufhalten. Sollten die „Urban Entertainment Center“ und Malls weiterhin und immer deutlicher zu sozialen Lebensmittelpunkten werden, würde allerdings nicht das öffentliche Recht, sondern deren Hausrecht und Hausdesign zu einem Teil der verbindlichen Umgangsnormen der Gesellschaft werden.

Links

[1] http://www.bbr.bund.de/
[2] http://www.ece.de/
[3] http://www.sonycenter.de/
[4] http://www.uwe-rada.de/
[5] http://www.mercado-hh.de/
[6]
[7] http://www.adbusters.org/
[8] http://rts.gn.apc.org/
[9] http://rts.squat.net/
[10] http://www.oma.nl
[11]
[12]

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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