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Gesundheitssystem

Etwas schief ins Leben gebaut

Hamburger Abendblatt vom 8. Dezember 1999
Neu bearbeitet in: „Die neue Sonderschule“, Heft 4/2002
Online erschienen in FORUM. Das Online-Magazin für Behinderte Etwas schief ins Leben gebaut

Die Methode des Ungarn Andras Petö hilft behinderten Kindern

Maja braucht für den Weg vom Vorraum ins Spielzimmer eine Viertelstunde. Langsam und bedächtig geht sie die nur 15 Meter lange Wegstrecke, hält sich dabei am Sprossenstuhl fest und schiebt diesen Zentimeter für Zentimeter vorwärts. Hinter ihr achtet Edit Beke, 26, auf ihre Schritte. Sie unterstützt die spastisch gelähmte Maja nur wenig auf ihrem Weg, greift nur stabilisierend ein. Schliesslich erreicht das vierjährige Mädchen das Zimmer, wo es von den anderen begrüsst wird. Maja ist eines von neun hirnverletzten Kindern, welche im Institut „Schritt für Schritt“ in Hamburg-Rotherbaum nach der Methode des Ungarn Andras Petö sechs Wochen lang ein selbständiges Leben trainieren sollen.

Oft sind es Komplikationen bei der Geburt, die das Gehirn eines Säuglings schädigen. Sauerstoffmangel oder Hirnblutungen beeinträchtigen die Funktion des Denkorgans und führen später oft zu schweren Störungen der Koordination, zu Spastiken oder ständigen Muskelanspannungen. Betroffene Eltern stehen dann vor der Aufgabe, die richtigen Entscheidungen zu treffen; für viele Familien beginnt damit eine lange und kräftezehrende Suche nach einer geeigneten Methode zur Förderung ihres Kindes. In den meisten Fällen sind es technische Hilfsmittel wie Rollstühle und Schienen, welche die unkontrollierten Bewegungen des Kindes auffangen und so die Verletzungsgefahr mindern sollen. Klassische Krankengymnastik soll darüber hinaus helfen, den Bewegungsapparat geschmeidig zu halten. Allzu oft sind Eltern aber mit den Anforderungen, welches ein Leben mit einem behinderten Kind mit sich bringt überlastet. „Zum einen fehlt es an Kontakten zwischen den Eltern dieser Kindern, zum anderen führt eine zu umfassende technische Versorgung in der Regel zu Rückbildungen der Muskulatur beim Kind‘, erklärt Sigrid Hengvoß, 40, Ärztin am Institut „Schritt für Schritt“. Das grösste Problem allerdings sei, dass die unterschiedlichen Massnahmen untereinander nicht koordiniert werden.

Schon 1990 gründeten Eltern hirnverletzter und spastisch gelähmter Kinder deshalb den Verein „Schritt für Schritt“, aus dem später das Institut hervorging. „Um miteinander zu reden und sich gegenseitig den Rücken zu stärken‘, wie Wolfgang Vogt, 53, Gründungsmitglied der ersten Stunde, sich erinnert. Oft fehle bei Ärzten und im sozialen Umfeld der Glaube an deutliche Entwicklungsmöglichkeiten hirnverletzter Kinder. „Das wissenschaftliche Schrifttum in dem Bereich behauptet oft, dass es schon ein Erfolg sei, wenn der Status Quo gehalten wird“, ärgert sich Vogt. Kurz nach der Vereinsgründung hörten Vogt und seine Frau von den Erfolgen der Methode nach Andras Petö und reisten mit ihrer Tochter Victoria nach Budapest, wo das Petö-Institut seit 1984 staatlich geförderte Hochschule ist. Die Ausbildung ist gründlich: In einem vierjährigen Studium lernen die Studenten die Stränge der Bereiche der Physiotherapie, der Logopädie, der Ergo-Therapie und der Pädagogik zu verbinden und dürfen sich danach „Konduktoren‘ nennen. Für Familie Vogt stand nach kurzer Zeit der Entschluss fest, Konduktoren nach Hamburg zu holen, um die Petö-Methode in der Hansestadt zu etablieren.

Im Spielzimmer sitzt Maja mittlerweile am Tisch um zu frühstücken. Die drei anwesenden Konduktoren assistieren den Kindern bei der Mahlzeit. Die sechsjährige Merrit ist schon fertig, Edit Beke fordert sie zum Aufstehen auf, damit sie sich die Schuhe ausziehen kann. Wieder setzt ein Prozess ein, der viel Zeit braucht: Mit Mühe richtet sich das Kind auf, steht auf wackeligen Beinen, aber steht. Langsam bewegt sich Merrit vom Tisch weg, lässt sich auf die Erde nieder und öffnet die Schnürsenkel, zieht die Schuhe aus, dann die Socken. „Wir helfen so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, bringt Beke ihre Arbeit auf den Punkt. Melanie hat mehr Mühe. Sie braucht den Sprossenstuhl um vom Tisch aufzustehen. „Kopf hoch, Popo nach vorne“, sagt Bela Mechtl, ein weiterer Konduktor, zu ihr, um im Anschluss zu fragen: „Wie gross bist Du?“. Das Kind ist deutlich angespornt, reckt sich, der Rücken ist gerade. Das Frühstück ist zu Ende, singend geht es nun weiter.

Im Gegensatz zu anderen Therapien geht Petös Ansatz von gänzlich anderen Voraussetzungen aus: Der Leitgedanke ist, dass es sich bei Hirnschädigungen nicht um eine Krankheit, sondern um eine Lernstörung handelt, die neben der Motorik die gesamte Persönlichkeitsentwicklung des Kindes beeinträchtigt. Nicht Fehler sollen korrigiert werden, sondern das Fehlende erlernt werden. In der Praxis bedeutet dies eine Orientierung an der Aneignung alltägliches Fertigkeiten, wie beispielsweise Anziehen und Essen. Ziel ist neben dem Erlernen motorischer Koordination die Integration ins gesellschaftliche Leben und vor allem die maximale Unabhängigkeit von Personen und Hilfsmitteln. Vogt legt den Ansatz in seinen Worten dar: „Jedes dieser Kinder will doch eigenaktiv am Leben teilnehmen. Und die konduktive Förderung nach Petö kommt und sagt: <Gut, Kind, ich zeige Dir, wie Du am Leben teilnehmen kannst. Auf deine ganz persönliche Art.>“

Auch Majas Mutter war zunächst über das Fehlen von Rollstühlen im Institut erschrocken. „Ich war skeptisch, weil Maja kaum Gleichgewichtssinn besass und zudem vor vielen Dingen einfach Angst hatte. Sie hat sich nichts alleine zugetraut“, erinnert sich Gabriele Münzer, 32*. Während der Wochen im Institut lernte Maja nicht nur das Gehen mit einer Vier-Punktstütze, sondern baute ein Selbstbewusstsein auf, welches sie heute Aufgaben positiver angehen lässt. Münzer: „Jahrelang war für mich klar, wie der Tag läuft. Ich hebe sie auf die Toilette, hebe sie wieder runter, ziehe sie an, trage sie zum Tisch. Auch ich habe hier gelernt, nämlich das ich Maja mehr zutrauen muss.“ Heute schiebt Maja ihren Kinderwagen alleine durch die Wohnung, sie geht alleine auf Toilette, das Essen geht ebenfalls leichter von der Hand. Münzer ist begeistert: „Das ist viel mehr, als ich mir erhofft habe.“

Eine Ursache für die Erfolge des Petö-Systems ist im zeitintensiven Programmaufbau zu sehen. Ein Blockkurs erstreckt sich über einen Zeitraum von sechs Wochen, wobei die Kindern täglich sechs Stunden im Institut verbringen. Das nachhaltige Training hat seinen Sinn, denn die Kinder sollen durchaus bis an ihre Grenzen gehen. Rita Mechtl, seit drei Jahren Konduktorin in Hamburg, erklärt ihr Ansinnen: „Wir verlangen viel, trauen den Kindern aber auch viel zu.“ Das gemeinsame Singen nach dem Frühstück gibt Rhythmus sowie gute Laune und hilft den Kindern das Tempo für die kommenden Bewegungsaufgaben zu finden. Das Ziel ist individuell unterschiedlich gesetzt, im Kern geht es aber darum brach liegende Körperfunktionen zu aktivieren. Nicht das Senken der Spastik, sondern der erleichterte Umgang mit ihr steht somit im Vordergrund des Lernens. Die These von Petö: Die noch gesunden Hirnpartien übernehmen die Funktionen der geschädigten Hirnteile am besten dann, wenn durch reproduzierte Bewegungsabläufe neue Muster im Gehirn geschaffen werden. „Die wichtigsten Routinen des Alltags können nur von einer aktiven Person erbracht werden“, sagt Mechtl und fügt hinzu: „Petö ist keine Wunderkur. Es muss über einen längeren Zeitraum konzentriert gearbeitet werden, um gesetzte Ziele zu erreichen.“

Einig sind sich Eltern und Ärzte darüber, dass ein Kind so früh wie möglich mit der Petö-Methode beginnen sollte. Während Kleinkinder zwischen einem und drei Jahren über einen Zeitraum von einem Jahr ein bis zwei Mal die Woche im Institut erscheinen, erhalten Jungen und Mädchen im Kindergartenalter Blockkurse von fünf bis sechs Wochen. Institutsärztin Hengvoß bindet die Eltern in den Lernprozess mit ein, am Anfang werden Ziele definiert, am Ende klärt ein Abschlussgespräch mit den Konduktoren welche Anschlusstherapien helfen und welche Übungen zu Hause durchgeführt werden können. Wie Hengvoß feststellt, ist ein häufig geäusserter Wunsch seitens der Eltern, dass ihr Kind laufen lernt. „Viele Kindern können allerdings nicht einmal sitzen, wenn sie zu uns kommen. Unser Ziel ist es daher, das aufrechte Sitzen zu lehren, denn dann kann gegessen, gelesen und geschrieben werden.“ Und die Konduktorin Mechtl ergänzt: „Eltern kommen mit hohen Erwartungen. Das ist ja auch gut so, denn man muss ja Hoffnung haben, aber man braucht auch viel Geduld.“

Der Tag am Institut ist vorbei. Maja ist erschöpft, aber zufrieden. Gabriele Münzer hat für den sechswöchigen Aufenthalt in Hamburg eine Wohnung angemietet, denn eigentlich wohnt sie mit ihrer Tochter und ihrem Mann in Bochum. „Das ist mir die Sache wert“, sagt sie, „denn Maja ist hier erheblich selbstsicherer geworden. Trotz ihrer Behinderung geht sie neuerdings Aufgaben ganz anders an. Sie versucht es, scheitert eventuell, aber versucht es dann halt noch mal.“

(* Name von der Redaktion geändert)

Weitere Informationen gibt das Institut „Schritt für Schritt“, Alsterterrasse 2, 20354 Hamburg, Telefon: 040 / 447262.

 

Die Petö-Methode

Das Prinzip der konduktiven Förderung nach Andras Petö geht davon aus, dass Bewegungsstörungen mit intensiven, die ganze Persönlichkeit des Kindes ansprechenden Fördermassnahmen gemildert und teilweise überwunden werden können. Das Konzept beinhaltet die tägliche Förderung der Kinder in der Gruppe unter Leitung von in Budapest ausgebildeten „Konduktoren“. Ziel ist die möglichst ausgeprägte Selbständigkeit des Kindes im Bewältigen alltäglicher Aufgaben. Dafür werden alltagsbezogene Aufgabenlösungen wiederholt durchgeführt. Dadurch lernen die Kinder eigene Problemlösungen zu erarbeiten, die eine weitere Entfaltung ihrer Persönlichkeit in motorischer, intellektueller und sozialer Hinsicht erlaubt.

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Medizin

Cannabinoid Forschung

Sichere Handhabung, unglaubliche Eigenschaften

In den USA etabliert sich die Erforschung der Cannabinoide

„Vor 1990 wußten wir nicht genau, wie Cannabinoide funktionieren“, gibt Norbert E. Kaminski, Professor für Pharmakologie an der Michigan State Universität zu. „Die meisten Forscher dachten, daß die Bestandteile des Cannabis unspezifisch wirken, indem sie aufgrund ihrer Löslichkeit in Fett die Zellmembranen durchdringen.“ Erst in den späten 80er Jahren gelang es, die für die Cannabinoide zuständigen Rezeptoren im Detail zu studieren. Neuen Aufschwung erhält die Erforschung der Hauptbestandteile des Cannabis nun durch Entscheidungen auf der politischen Bühne: Durch die Volksentscheide in Kalifornien, Arizona und anderen Bundesstaaten der USA, Marihuana als Medizin zuzulassen, sieht sich der Staat gezwungen, die Eigenschaften der einst verpönten Pflanze genauer unter die Lupe zu nehmen. Höchste Ebenen sind eingeschaltet: Das „Office of National Drug Control Policy“ hat die „National Academy of Science“ beauftragt in einer 18 Monate währenden Studie die wissenschaftliche Basis und den therapeutischen Nutzen des medizinalen Hanfs zu erforschen (www2.nas.edu/medical-mj/). Die Studie wird nicht vor Anfang 1999 veröffentlicht, fest steht aber schon jetzt, daß Cannabis damit in den erlauchten Kreis der soliden Wissenschaft eindringt.

Den großen Sprung machte das Wissen um den Rauschhanf mit der Entdeckung der Cannabinoid-Rezeptoren. Dies sind kleine Empfangsstationen in Hirn und Körper, an die zum Beispiel THC, der aktivsten Wirkstoff im Cannabis, andocken kann. Alle Substanzen, die an diese, CB-1 Rezeptor genannte Stationen andocken können, werden Cannabinoide genannt. Der 1988 entdeckte CB-1 Rezeptor kommt hauptsächlich im Hirn vor, der CB-2 Rezeptor wurde 1990 entdeckt und treibt sein Wesen im gesamten menschlichen Körper. Steven R. Childers, Professor für Physiologie und Pharmakologie an der Wake Forest Universität in Winston-Salem, ist begeistert: „Das schöne an den Entdeckungen ist, daß sie Chemiker auf der ganzen Welt dazu bringen, Derivate aller Art zu entwickeln.“ Die synthetisch hergestellten Cannabinoide wirken potenter und effektiver. Drei dieser Derivate gelten mittlerweile als Standard im Forschungsbetrieb. Sie hören auf die kryptischen Namen WIN 55212-2 sowie CP 55-940, die als Agonisten fungieren, und SR 141716A, der als Antagonist eingesetzt wird (siehe HANFBLATT April 98).

Steven R. Childers
Steven R. Childers

Goldgräberstimmung kam 1992 auf, als ein Team um Raphael Mechoulam an der Universität von Jerusalem entdeckte, daß in jedem menschlichen Körper ein körpereigenes Cannabinoid existiert. Das Team gab dem Neurotransmitter den Namen „Anandamide“, nach dem Sanskrit-Wort für „Glückseligkeit“. Und Jüngst entdeckte man ein anderes körpereigenes Cannabinoid (2-AG). „Sehr potent sind diese chemischen Verbindungen nicht“, stellt Childers fest, „in dieser Hinsicht haben sie Ähnlichkeit mit dem THC. Und sie sind extrem instabil.“

Noch eine große Überraschung wartete auf die Wissenschaftler: Entgegen den Erwartungen ist der CB-1 Rezeptor enorm häufig im Gehirn vertreten. Childers: „Niemand hat erwartet, daß der Rezeptor für Marihuana in so hoher Menge im Hirn existiert.“ Diese Entdeckung paßt für Childers trotzdem ins Bild der bisherigen Forschungsergebnisse. „Wir wissen durch eine Anzahl von Tierversuchen, daß Cannabinoide Auswirkungen auf das Kurzzeitgedächnis haben. Und das macht auch Sinn, denn im Hippocampus, einem Teil des Großhirns, kommen viele CB-1 Rezeptoren vor. Und der Hippocampus ist ein wichtiger Teil des Kurzzeitgedächnisses“, führt der Wissenschaftler aus.

Paul L. Kaufman
Paul L. Kaufman

Der Schritt von den Enthüllungen der Cannabinoid-Rezeptor Forschung zu konkreten medizinischen Anwendungen ist nicht immer einfach. Beim Glaukom, einer gefährlichen Erhöhung des Augeninndendrucks, hilft Marihuana nachgewiesenermaßen. Daß sich Gras nicht als Medikament durchgesetzt hat, hat seinen Grund nicht nur in der Illegalität der Droge und dem mangelnden Interessen der Pharmakonzerne.

Für Paul L. Kaufmann, dem Direktor des Glaukom-Zentrums an der Universität von Wisconsin in Madison, liegt dies eher an der Wirkungsdauer von Cannabis. Marihuana reduziert den Augeninnendruck nur für drei oder vier Stunden, muß aus diesem Grunde öfter am Tag angewendet werden. Was vom Konsumenten eventuell als angenehm empfunden wird, ist der Forscher Graus. Sie wollen ein Medikament, welches ohne psychoaktive Nebenwirkungen lange wirkt. Ein anderes Problem sieht Kaufmann darin, daß noch weitestgehend unbekannt ist, warum genau Cannabis den Augeninnendruck senkt. Kaufmann gibt zu bedenken: „Die Leute sagen, daß man Marihuana einfach legalisieren sollte. Dies ist nicht unsere Art ein Medikament zu entwickeln. Wir wollen die Mechanismen verstehen, die hinter den Vorgängen stecken, und dazu die Moleküle so verändern, daß man mehr von den positiven und weniger von den negativen Effekten hat. Dann folgen klinische Testreihen und am Ende hat man ein therapeutisches Produkt. So sollte auch beim Marihuana vorgegangen werden.“ Gleichwohl ist auch Kaufman von den neuen Erkenntnissen begeistert: „Wir können durch die Rezeptor-Forschung die hydrodynamischen Eigenschaften des Auges besser verstehen lernen.“

Sandra Welch
Sandra Welch

Ein weiterer Anwendungsbereich von Cannabinoiden sind deren schmerzstillenden Eigenschaften. Howard Fields, Professor für Neurology an der Universität von Californien in San Francisco, ist sicher: „Die momentane Explosion an Wissen über Cannabinoide, und hier vor allem das künstliche Herstellen von Agonisten und Antagonisten, wird uns befähigen, neue Schmerzmittel zu entwickeln.“ Seine Kollegin vom Medical College in Richmond, Virginia, stimmt zu: „Unser Ziel ist es, die Dosis der Cannabinoide soweit zu senken, daß kaum noch Nebeneffekte auftreten“, sagt Sandra Welch, Professorin für Pharmakologie. Wird Marihuana geraucht, nimmt der Konsument über 60 unterschiedliche Cannabinoide auf. Es ist zum Teil noch unklar, welche von diesen wie wirken, zudem muß noch erforscht werden, wie das Zusammenspiel der Cannabinoide funktioniert.

In den USA drängen mittlerweile immer mehr Forscher in das Gebiet der Cannabinoid-Forschung. Die Euphorie ist ungebremst: Angeheizt durch die gesellschaftlichen Umbrüche, die in Marihuana nicht mehr nur eine suchtbringende Droge sehen und den Fortschritten in der Rezeptor-Theorie erlebt das Wissen rund um die Cannabis-Pflanze einen enormen Aufschwung. Zunehmend werfen auch die großen Pharma-Konzerne ein Auge auf die Umtriebe, sie hoffen auf Medikamente, die die Kassen klingeln lassen. Auch namhafte Experten und Institute scheuen sich nicht mehr, Cannabis-Blüten ins Reagenzglas und unters Mikroskop zu packen. Mit der International Cannabinoid Research Society (ICRS) hat sich eine Organisation gegründet, die sich auf Cannabinoide konzentriert. Vor zwanzig Jahren galten Cannabinoide in erster Linie als Bestandteile einer Pflanze, mit der Mißbrauch (Rausch) betrieben wird. Heute steht dagegen die Erforschung eines der Hauptbestandteile des Neurotransmittersystems im Gehirn im Vordergrund.

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Drogenpolitik

Ein paar Thesen zur Drogenpolitik

 Thesen zur Drogenpolitik

Drogenpolitik schliesst den Umgang mit legalen psychoaktiven Drogen, wie Alkohol, Nikotin, Medikamente, Coffein-haltige Getränke etc. ein. Jedoch sind die Konsumenten illegaler Drogen auf Grund der bestehenden Gesetzeslage durch Strafverfolgung bedroht. Diese schafft erst viele der Probleme, die sich heute als „Drogenproblematik“ darstellen.

Die Trennung zwischen legalen und illegalen Drogen ist willkürlich. Dies gilt es zu belegen. Ziel muss es sein, die durch die gegenwärtige Rechtslage und den eingefahrenen gesellschaftlichen Umgang stigmatisierten und zumindest teilweise ausgegrenzten Gebraucher der „verteufelten“ Drogen aus dieser Situation zu befreien und die Trennung aufzuheben.

Dabei geht es letztlich nicht darum, zu beweisen, welche Droge, wie gefährlich oder harmlos ist, sondern um ein grundlegendes Menschenrecht: Das Recht, selbst zu entscheiden, welche Genussmittel oder Drogen man sich zuführt.

Um hierbei frei und verantwortungsbewusst handeln zu können, ist eine ausgewogene und fundierte Aufklärung vonnöten, die nicht auf unglaubwürdiger „Panikmache“ oder übertriebener „Verherrlichung“ beruht.

„Suchtkrankheit“ ist nicht ein Problem, das an bestimmte Substanzen gekoppelt ist. Die Ursachen für die Entwicklung abhängigen oder süchtigen Drogengebrauchs sind vielschichtig. Die gesellschaftspolitisch beeinflussbaren sozialen Umstände spielen dabei eine erhebliche Rolle.

Von der Drogenverbotspolitik Betroffene sind nicht nur die nach Jahren der Strafverfolgung verelendeten „Junkies“, sondern auch eine erhebliche Anzahl von Menschen, die weitgehend kontrolliert, genuss- oder selbsterfahrungsorientiert und relativ unproblematisch auch mit den illegalen Drogen umzugehen in der Lage sind. Diesen gilt es gerecht zu werden. Den anderen muss geholfen werden.

Wenn bestehende oder neue Institutionen zu aktuellen drogenpolitischen Themen kompetent Stellung beziehen wollen, dann sollten sie sich um eine unüberlegte Instrumentalisierung zu vermeiden, zuvor ausführlich mit den verschiedenen Aspekten der entsprechenden Thematiken auseinandersetzen.

Wie widersprüchlich und scheinheilig Drogenpolitik gemacht wird, spiegelt sich zum Beispiel konkret in der BtMG-Gesetzesänderung vom Februar 1998 wieder, bei der für eine erleichterte Methadonsubstitutionspraxis, die Kriminaliserung weiterer Gebraucher psychoaktiver Pflanzen in Kauf genommen wurde (Stichworte: Hanfsamenverbot, Verbot psiloc(yb)inhaltiger Pilze und meskalinhaltiger Kakteen =  Kriminalisierung des Natürlichen). Insbesondere das Verbot der Einfuhr von Kath (Catha edulis-Zweigen), ein traditionelles Genussmittel somalischer und äthiopischer Flüchtlinge und Einwanderer, ohne Rücksprache mit den Betroffenen, muss sich den Vorwurf machen lassen, zumindest ausgesprochen ethnozentristisch zu sein, zumal es kaum deutsche Gebraucher dieser nur frisch geniessbaren Pflanze gibt. Die Folge ist ausserdem: Es blüht ein nunmehr illegaler Import aus unseren freundlichen kleinen Nachbarländern.

 

Achim Zubke und Jörg Auf dem Hövel, Dezember 1999